Norwegen 2002
Inhaltsverzeichnis
- Anfahrt über die Öresundbrücke, danach Vingelen, Gaudal und Röros
- Die ersten Fjorde und der Thorghatten
- Reichsstraße 17, zwei Fähren und ins Landesinnere
- Suche nach dem Stabbfossen, zurück zur Küste und über den Polarkreis
- Insel Amöya, ein Vulkan und die Fähre verpasst
- Saltstraumen, Schlafen am Korken und Narvik
- Erkundungen auf gelben Straßen rund um den Raftsund
Im Jahr 2002 konnte ich einen Sabbatical machen. Das bedeutete sechs Monate frei von Anfang Juni bis Ende November. Zunächst ging es für zwei Monate nach Norwegen:
Anfahrt über die Öresundbrücke, danach Vingelen, Gaudal und Röros
Sonntag und Montag, den 9.-10.Juni (1. und 2. Tag)
Am 9. Juni breche ich, begleitet von allen mütterlichen guten Wünschen in Lübeck auf. Über die Autobahn geht es durch Dänemark und über die neue Öresundbrücke nach Schweden. Dort ist die Autobahn Richtung Norden fast leer und bei Uddevalla leider auch zu Ende. Auf der meist zweispurigen E6 geht es weiter Richtung Norwegen. Auch an der Grenze will niemand meinen abgelaufenen Reisepaß sehen. Vor Oslo verlasse ich die E6 und will auf „gelben“ Straßen weiterfahren. Dies gelingt auch dank einer guten, wenn auch recht großen Karte (Falk “Skandinavien” 1:800.000) und einer sinnvollen Beschilderung. Meine erste Nacht in Norwegen verbringe ich in der Nähe eines kleinen Museums im Dorf Mysen. Es wird jetzt schon nicht mehr richtig dunkel.
Dienstag, den 11. Juni (3. Tag)
Wer durch Norwegen in den Norden will, muß an Trondheim vorbei. Aus der Osloer Gegend gibt es einige Wege, um dort hin zu gelangen. Der Hauptweg ist sicherlich jener durch das Gudbrandsdal. Ich entscheide mich für „gelbe“ Straßen parallel zum Osterdal weiter im Osten. Hier kann ich bei gemächlichem Sonntagsfahrer-Tempo (60 km/h) reichlich Gebrauch vom Tempomaten machen und die Gegend genießen, ohne ständig einen Rattenschwanz ungeduldiger Kleinwagenfahrer hinter mir her zu ziehen.
Eine solche Straße führt auch am See Storsjö entlang, an dessen Ufer ich im Wald neben einer noch unbewohnten Ferienhütte übernachte.
Mittwoch, den 12. Juni (4. Tag)
Auf Nebenstraßen geht es am nächsten Tag weiter bis Tynset, wo ich auf die Reichsstraße 30 abbiege, um durchs Gaudal Richtung Trondheim zu fahren. Auf einer der zahlreichen Informationstafeln werde ich auf das Dorf Vingelen aufmerksam gemacht. Es liegt fast am Weg, und wirklich: Schöne alte Holzhäuser schmiegen sich idyllisch gelegen an einen sonnigen Berghang. Davor steht eine weiße Holzkirche aus dem Jahr 1880.
Nicht weit davon entfernt ist das BergbaustädtchenRöros. Hier wurde 1646, angeblich durch ein Rentier, Kupfer entdeckt. Schnell entstand eine kleine Stadt aus Holzhäusern und eine Kupferschmelze.
Der Bergbau wurde 1977 eingestellt, aber die Holzhäuser und die Gebäude der Schmelze gibt es noch.
Auf Grund des einmaligen Ensembles 250 Jahre alter Holzhäuser wurde die Stadt dem UNESCO-Weltkulturerbe eingereiht. In der Schmelze ist heute ein Bergbaumuseum, das aber Anfang Juni nur bis 16 Uhr geöffnet hat und ungefähr zu dieser Zeit komme ich dort an.
Ein paar Kilometer weiter übernachte ich auf der Paßhöhe zwischen dem Gaudalen und dem Hessdal. Hier oben ist es noch recht frisch, so dass auch die Heizung eingeschaltet wird.
Donnerstag, den 13. Juni (5. Tag)
Das Gaudal ist stellenweise nur so breit, daß der Fluß Gaula, eine einspurige Bahnstrecke und die Reichsstraße 30 hineinpassen. Dies alles windet sich zwischen bewaldeten Bergen dahin. Bei Stören hat mich dann aber die E6 wieder. Trondheim als Nadelöhr zwischen Süd- und Nordnorwegen bietet sich zur Einrichtung von Mautstationen auf der E6 geradezu an. Dreimal bin ich mit Beträgen von 15 bis 25 Kronen dabei. Auf Höhe von Trondheim setzt jetzt auch Dauerregen ein. Bisher war es wechselhaft, aber meistens trocken. Ausgerechnet bei Erreichen der Fjordküste solch ein Schmuddelwetter! Einige Kilometer hinter Trondheim biege ich auf die Halbinsel Fosen ab, welche Trondheim vom Meer trennt. Es regnet weiter in Strömen, so daß sich die Schönheit der Landschaft nur erahnen läßt. Fosen bietet dennoch vieles im Kleinen, was Norwegische Landschaft ausmacht: Dichte Nadelwälder, Seen, Flußtäler und natürlich Fjorde in jeder Form und Größe. Bei „Reins Kloster“ am Westrand von Fosen finde ich eine Ecke zum Schlafen auf dem Parkplatz mit hübscher Aussicht auf einen Binnensee. Gegen Abend hört dann auch der Regen auf. Beim Wetter ist im Norden zumindest auf eines Verlaß: Daß es nie lange so bleibt, wie es gerade ist. Wetterfrosch muß hier ein sehr undankbarer Beruf sein. Im Wetterbericht können entweder nur Allgemeinplätze stehen oder er ist schlicht falsch.
Die ersten Fjorde und der Thorghatten
Freitag, den 14. Juni (6. Tag)
Aber auch am nächsten Morgen scheint noch die Sonne, zumindest meistens, so daß jetzt auch die Fjordküste mit vorgelagerten Inselchen und zwischen bewaldeten Bergen eingezwängten Meeresarmen voll zur Geltung kommt.
Oft verläuft die Straße direkt an der Küste entlang, dann wieder durch ein Flußtal im dicht bewaldeten Hinterland. Auf jeden Fall hätte sie eine grüne Markierung auf der Karte als „landschaftlich reizvoll“ verdient. Aber für norwegische Straßen gelten da wohl andere Maßstäbe. In einem kleinen Dörfchen namens Fevag mache ich meine ersten Einkäufe zur Ergänzung der Vorräte. Als erstes fällt mir dabei Flatbröd in die Hände. Das ist staubtrockenes, hauchdünnes Fladenbrot, an das ich mich vom ersten Aufenthalt 1993 her noch gut erinnern kann. Nicht einmal die Bedruckung der Verpackung scheint sich seitdem geändert zu haben. Zusamen mit einer leicht gesalzenen Butter war dieses Flatbröd der reinste Suchtstoff. Die Straße verläuft jetzt mehr durchs Innere der Halbinsel und erreicht bei Osen wieder die Küste. Hier sind die Berge plötzlich nicht mehr bewaldet. Nur noch mit Sträuchern bewachsen ragen die Felsen auf.
Da ich bisher jeden Tag gefahren bin, entschließe ich mich zu einer Pause von einem, vielleicht auch zwei Tagen auf den Campingplatz von Osen. Ich habe einen Platz direkt am Wasser und kann bis 21 Uhr nach Installation eines Windschutzes im Liegestuhl sitzen und lesen.
Samstag und Sonntag, den 15.-16. Juni (7. und 8. Tag)
Auch den nächsten Tag verbringe ich in der Sonne sitzend auf dem Campingplatz (150 NOK/Nacht inkl. Strom). Am späten Nachmittag unternehme ich eine kleine Radtour in die Umgebung, die aber auch keine neuen Erkenntnisse zu Tage fördert. Gegen Abend beginnt es mal wieder zu regnen, was es am nächsten Tag auch noch tut. Also fahre ich weiter. Auf der Straße 715 und dann der RV 17 geht es vorbei an Fjorden, über Brücken, durch manchen Tunnel und fast immer durch Mischwald.
Zwischen Holm und Vennesund im Verlauf der Straße Nr. 17 wird es Zeit für die erste Fährüberfahrt. Für 56 NOK werde ich eine knappe halbe Stunde über das graue Meer geschippert, allerdings mit einer recht modernen Fähre. Ich befinde mich auf der Insel Sömna und will mir jetzt etwas Zeit für die eine oder andere Sehenswürdigkeit nehmen.
Als erstes steuere ich einen „Gravhaug“ (Grabhügel) an. Ohne ein erläuterndes Schild wäre man sich der Bedeutung dessen, was man da sieht, gar nicht bewusst. Aber nach diesem Schild zu urteilen, befindet sich unter dem vielleicht 10m langen, 3m breiten und einen Meter hohem grasbewachsenem Hügel mit einem senkrecht stehenden Stein am Ende ein komplettes Schiffsgrab aus der Wikingerzeit.
Dem nächsten Hinweisschild mit der Aufschrift „Krigsminne“ folgend, entdecke ich eine deutsche Geschützstellung aus der Zeit der deutschen Besetzung Norwegens von 1940 bis 1945. Von hier oben wurde mit einem Scheinwerfer und zwei Geschützen die umgebende Fjordlandschaft überwacht.
Wo alle Wege dieser Geschützstellung zusammenlaufen ist gerade genug Platz für ein Wohnmobil…
Aber erstmal geht es weiter. Auf meiner Karte ist in dieser Gegend eine mittelalterliche Kirchenruine verzeichnet und diese reizt mich natürlich.
Allerdings ist die relativ große Stadt Brönnöysund nicht verzeichnet, in die ich jetzt hineingerate. Aber auch hier steht ein Wegweiser zu einer Sehenswürdigkeit: „Torghatten„.
Ich fahre hin und muß zuerst über eine kühne, 40m hohe Brückenkonstruktion, bei der bereits die eine Auffahrt in der Kurve auf Stelzen verläuft.
Jetzt bin ich auf der Insel Torget. Torghatten entpuppt sich als ein 250m hoher Berg mit einem natürlichen Felstunnel, der mitten hindurch führt, dem „Torghatthull“.
Den Tunnel hat wahrscheinlich die Brandung in den Fels geschlagen, bevor sich das Land später gehoben hat.
Die Legende sagt aber natürlich etwas ganz anderes:
Hestmannen, der Sohn eines Trollkönigs sichtete einst sieben schöne Trollschwestern nackt beim Baden. Er galoppiert ihnen von den Lofoten aus nach, um sie zu rauben. Natürliche laufen sie kreischend davon. Durch dieses Spektakel wird der hier zuständige Trollkönig herbeigerufen. Er sieht, wie der wilde Trollkönigssohn den Bogen spannt, um den fliehenden Mädchen einen Pfeil nachzusenden und wirft seinen Hut in die Flugbahn des Pfeils. In dem Moment geht die Sonne auf und da Trolle bei Sonnenlicht zu Stein werden, versteinert der Königssohn (Hestmannen, ein Felsen bei Brönnöysund), die sieben Schwestern (Berggipfel bei Sandnessjöen), und der vom Pfeil durchbohrte Hut des Trollkönigs fällt als Berg Torghatten zu Boden.
Der Rundweg von ca. 2 Stunden ist stellenweise recht beschwerlich, der Anblick des ca. 30-50m hohen und ca. 150m langen Felstunnels, durch den der Weg natürlich hindurch führt, lohnt aber die Mühe.
Da der Campinplatz nur 300m entfernt ist, prangt am Parkplatz vom Torghatten natürlich ein unübersehbares Schild „No Camping“. Aber ich will ja auch zur Kirchenruine aus dem Mittelalter. Also wieder zurück über die tolle Brücke und auf der Straße Nr. 17 weiter nach Norden. Auf einer Informationstafel sehe ich schließlich, dass die Ruine erst erwandert werden muß. Nun, das ist vielleicht eine Aufgabe für morgen. Ich fahre zurück zur einsam gelegenen „Krigsminne“.
Reichsstraße 17, zwei Fähren und ins Landesinnere
Montag, den 17. Juni (9. Tag)
Am nächsten Morgen geht es zunächst nach Brönnöysund zum Einkaufen. Die etwas voreilig eingekaufte „Skummet Kultur“ erweist sich als so etwas wie saure Dickmilch, ist also für den Morgenkakao denkbar ungeeignet. Aber mit Honig verrührt schmeckt es richtig gut. Jetzt muß also richtige Milch und auch Honig her.
Nach dem Einkauf setze ich die Suche nach der mittelalterlichen Kirchenruine fort. Diese entpuppt sich schließlich als kniehohe, grasüberwucherte Mauerreste kaum 50m von der Straße entfernt mit einer norwegisch beschrifteten Informationstafel.
Also weiter zur Fähre. Heute stehen zwei Fährüberfahrten auf dem Programm und das Wetter liefert den passenden blauen Himmel dazu.
Zunächst geht es von Horn nach Andalsvagen für 51 NOK. Hier verläuft die Straße Nr. 17 durch hohe Gebirge vom übrigen Straßennetz getrennt 17 km bis Forvik, wo die nächste Fähre abgeht. Auf diesem kurzen Stück Straße starten alle Fahrzeuge von der Fähre eine wilde Hatz, der auch ich mich nicht ganz entziehen kann, bis ich kurz vor dem Fähranleger eine kleine Holzkirche mit Aussicht auf den Fjord entdecke.
Die nächste Fährpassage von Forvik nach Tjötta (96 NOK) ist schon fast eine kleine Kreuzfahrt. Es geht eine Stunde durch ein Labyrinth aus Schären und Fjorden mit drei kurzen Zwischenstopps bei denen jeweils ein paar Autos das Schiff verlassen oder an Bord kommen.
Die am Schiff vorbeiziehende Landschaft wechselt ständig: Mal graue Felsenberge, dann grüne Schären, dann rostrote Berge und das alles umspült von tiefblauem Meer, durch das die Fähre ihren Weg nimmt.
In Tjötta hat mich die Straße Nr. 17 wieder und überrascht gleich hinter dem Ort mit einem sowjetischen Soldatenfriedhof für 7551 gefallene Soldaten des Zweiten Weltkriegs. Die Sowjets haben 1944 die Finnmark befreit, aber das ist noch einige hundert Kilometer nördlich von hier. Was war hier los? Informationstafeln sind keine zu finden und auch die Reiseführer schweigen sich aus.
Dem Drang zum Sehenswerten folgend steuere ich das Museum des Dichters Petter Dass und die danebenliegende kleine Kirche von Alsfahaug an. Das Wetter ist nicht unbedingt museumsgeeignet, aber die Kirche ist mit ihrem Zwiebelturm recht hübsch anzusehen.
Als nächstes geht es für 82 NOK über die „Helgelands Brua„, eine kühne Hängebrücke.
Bald ist es Zeit auf die Straße Nr. 78 in Richtung Mosjöen abzubiegen. Diese führt landschaftlich reizvoll in engen Windungen und Steigungen immer am Fjordufer entlang, unterbrochen durch ein paar kurze Tunnels. Kurz vor Mosjöen bin ich wieder auf der E6 und will zum Stabbfossen, einem Wasserfall an der Straße Nr. 806, die von Korgen Richtung Süden führt. Aber als ich die Paßhöhe des Korgfjellet (ca. 600m) erreiche, ist es schon 8 Uhr abends und ich habe keine Lust mehr weiter zu fahren. Im hiesigen „Kro“ (Rasthof) esse ich gekochten Lachs und übernachte etwas abseits davon auf einem Sandplatz. Dies ist wahrscheinlich die letzte Nacht südlich des Polarkreises. Das Vordringen nach Norden macht sich auch in der Vegetation bemerkbar: Die zuvor noch beschriebenen hohen Nadel- und Mischwälder wurden inzwischen durch niedrigere Tannen- und Birkenwälder verdrängt.
Suche nach dem Stabbfossen, zurück zur Küste und über den Polarkreis
Dienstag, den 18. Juni (10. Tag)
Am nächsten Morgen treibt mich stürmischer Wind, der kräftig am Auto rüttelt bereits früh aus den Federn, so kann ich mich zeitig auf die Suche nach dem „Stabbfossen“ machen. Der scheint aber nur für die Zeichner meiner Karte eine Bedeutung zu haben. Die Norweger haben keinen einzigen Hinweis aufgestellt. Als Ersatz muß schließlich ein kleines Rinnsal herhalten, das sich neben der Straße über ein paar Felsbrocken stürzt.
Aber immerhin entdecke ich die „Gamle Sjöforsen Bru“, eine Steinbogenbrücke von 1905, die über den Fluß Rossaga führt.
Weiter geht es auf der E6 nach Mo i Rana und dort über die Straße Nr. 12 wieder zur Straße Nr. 17. Vor dem Fähranleger Kilboghamn entdecke ich eine weitere „Krigsminne“: Ein deutsches Küstenfort namens Grönvik. Es sollte die Zufahrt nach Mo i Rana überwachen. Kurz dahinter liegt ein Aussichtspunkt, der einen weiten Blick über die Schärenküste bietet.
Mit der Fähre Kilboghamn – Jektvik geht es für 112 NOK über den Polarkreis bei 66°33′ nördlicher Breite. Dieser wird am nahen Ufer durch einen Nirosta-Globus und eine Durchsage des Käpt’n markiert.
Leider gibt es weder auf dem Schiff, noch am Anleger in Jektvik ein Souvenir, das für die „Kitschecke“ genannte Andenken-Galerie im Auto geeignet ist.
Von Jektvik geht es wieder auf der 17 um den Tjongfjord herum. Hier sind die Berge ziemlich steil und meist ist der nackte Fels zu sehen.
In Agskardet geht die Fähre nach Foröy für 43 NOK. Auf Grund des momentanen Regenwetters bleibe ich für die ca. 15-minütige Überfahrt im Auto sitzen, kann aber wegen der hohen Bordwand des Schiffs nichts von der Umgebung sehen. In Halsa, dem nächsten Ort hinter Foröy, finde ich die Straße um den Skardsfjord. Hier ist noch eine Fähre inbegriffen, dieser Weg umgeht aber einen ca. 8km langen Tunnel an der Straße 17 im Hinterland. Ich finde hinter Bjäerangen einen Platz an der Straße.
Insel Amöya, ein Vulkan und die Fähre verpasst
Mittwoch, den 19. Juni (11. Tag)
Am nächsten Tag am Fähranleger stelle ich fest, daß die nächste Fähre erst in ca. 3 Stunden abgehen wird. Ich entschließe mich also, die in der Nähe über eine Brücke erreichbare Insel Amöya zu erkunden. Dabei entdecke ich den traumhaft am Meer gelegenen „Amnes Skjaergardscamping“ und entschließe mich mit Blick aufs Meer und vielleicht die Mitternachtssonne einen Nachmittag und eine Nacht zu bleiben. Dies kostet mit Strom 125 NOK Am Nachmittag unternehme ich eine kleine Radtour nach Amöyhamn in der Hoffnung, einen Rundweg um die Insel zu finden. Den gibt es nicht, also muß ich den selben Weg zurück, diesmal aber meist bergab und mit Rückenwind. Bei diesem Ausflug lerne ich auch die Tücken des norwegischen Wetters kennen. Ein Regenschauer stürzt sich mit Sturmböen auf mich. Es kommt so schnell, dass keine Zeit bleibt, die Regensachen anzuziehen und ist ebenso schnell wieder vorbei.
Von der freundlichen Campingplatz-Chefin habe ich einen norwegisch-deutschen Prospekt über die Küste Helgelands bekommen. Darin ist auch der Blick auf eine Insel (Bolga) mit einem kegelförmigen Berg abgebildet, der sich mir von meinem Stellplatz aus bietet. Auf den Prospektfotos steht daneben eine glutrote Mitternachtssonne oder es begegnen sich zwei Schiffe der Hurtigruten. Dies alles sehe ich nicht, denn es regnet immer heftiger. Mitunter lassen die Wolkenfetzen, die an Bolga’s Spitze hängen bleiben, an Vulkanismus in Nordnorwegen denken.
Zum Regen gesellt sich ein böiger Wind, der das Auto kräftig schwanken läßt.
Saltstraumen, Schlafen am Korken und Narvik
Donnerstag, den 20. Juni (12. Tag)
Der Schlaf fällt deshalb in dieser Nacht auch eher dürftig aus, so daß ich zeitig aus den Federn komme, um die Frühfähre, deren genaue Abfahrtszeit ich mir natürlich nicht gemerkt habe, noch zu erwischen. Die Abfahrtszeit ist Sieben Uhr, denn genau um diese Zeit sehe ich sie von der Straße aus ablegen…
Also wieder zurück zur Straße Nr. 17 und durch die diversen Tunnels im Hinterland. Aber von der Gegend ist sowieso nicht viel zu sehen, denn es regnet noch immer. An einem Aussichtspunkt schiebt sich eine Gletscherzunge des Svartisen durch den Dunst, weitere Landschaftliche Höhepunkte bleiben aus Witterungsgründen ungewürdigt, weil meist unsichtbar.
Nach einer Mittagspause mit längerem Nickerchen, um das Schlafdefizit der letzten Nacht auszugleichen, erreiche ich den Saltstraumen, den stärksten Mahlstrom der Welt. 150 bis 400 Millionen Liter Wasser werden hier alle 6 Stunden vom Gezeitenwechsel in den Skjerstadfjord hinein und wieder heraus gedrückt. Wenn man von 300 Millionen Liter als durchschnittliche Wassermenge ausgeht, dann sind das etwa 14 m³ in der Sekunde. Der Dettifoss auf Island (größter Wasserfall Europas) bewegt bis zu 200m³ in der Sekunde.
Aber abgesehen von diesen Zahlenspielereien bieten die rasenden Strudel, die mit der Geschwindigkeit eines flotten Radfahrers unter der riesigen Saltstraumen-Brücke hindurch schießen, schon ein beeindruckendes Bild, das heute aber leider nur bei Regen zu bestaunen ist.
Die Straße Nr. 17 findet kurz hinter dem Saltstraumen ihr Ende. Auf der 80 geht es jetzt zur E6, hier wieder die einzige Straßenverbindung Richtung Norden.
Auf meiner Karte sind die jetzt folgenden Tunnelstrecken als mautpflichtig vermerkt, was aber nicht zu stimmen scheint, denn auch bei der Abfahrt nach Bonnasjaen, von wo ich mich auf eine Seitenstraße verdrücke, steht keine „Bomstasjon“, um die Weggebühr einzusammeln.
Kurz vor dieser Abfahrt entdecke ich noch einen Hof, der bis 1967 bewohnt war und heute als Museum geöffnet ist, leider aber erst ab dem 24.6. So bleibt mir nichts anderes, als im Regen durch die Fenster in die Gute Stube und die Küche zu spicken. Obwohl man in diesem Museum, wie es auf der Informationstafel heißt, „…erfahren kann, was das Leben ohne Strom und fließendes Wasser bedeutet…“, führt doch eine Stromleitung ins Haus.
Gönnt sich hier der Museumswächter eine Leselampe ? Diesen Widerspruch kann ich nicht aufklären, denn ich will mir in der Nähe des Berges mit dem hübschen Namen „Korken“ einen Schlafplatz suchen. Diesen finde ich auch an einer Seitenstraße der E6, die einen der vielen Tunnels umgeht. Ein paar hundert Meter neben dem Auto ragt ein grauer, baumloser Felskoloß in die tief hängenden Wolken, von dem zahllose Rinnsale rauschend herabstürzen.
Auf der Straße kommt etwa jede Stunde ein Auto vorbei, also beste Voraussetzungen für eine ruhige Nacht, wenn nur der Regen nicht ständig aufs Dach trommelt und der Wind nicht am Auto rüttelt.
Freitag, den 21. Juni (13. Tag)
Wind und Regen haben über Nacht tatsächlich nachgelassen. Bei deutlich besserem Wetter geht es jetzt in flotter Fahrt auf der E6 in Richtung Narvik. Erst an der Fähre Bognes – Skarborget halte ich wieder an. Hier geht es für 67 NOK über den Tysfjord. Nach der Fähre gibt es erstmal Mittag. In dieser Zeit lasse ich zwei Pulks von Fahrzeugen aus zwei Fähren an mir vorbeiziehen und kann dann in entspannterem Tempo weiterfahren.
In Narvik schließlich werfe ich einen Blick auf die Endstation der Ofotbahn und sichte dabei eine der dreiteiliegen schwedischen E-Loks.
Ein Stadtbummel fördert nicht viel sehenswertes zu Tage, aber ich entdecke den in meinem Reiseführer abgebildeten Europa-Wegweiser, der einen kleinen Eindruck von den Entfernungen gibt.
In einem Laden erstehe ich dann noch das erste Norwegische Stück für die Kitschecke: Ein Anhänger, der auf der einen Seite ein Warnschild für Elche und auf der anderen eines für Trolle zeigt. Beide Wesen habe ich noch nicht leibhaftig zu Gesicht bekommen, obwohl vor Elchen immer wieder gewarnt wird. Manchmal variiert das Geweih auf dem Schild, dann wird vor Rentieren gewarnt.
Ein kurzes Stück geht es noch auf der E6 weiter, dann biege ich auf die E10 ab, die nach ca. 370 Kilometern in A auf den Lofoten endet. Aber auch dieser Straße will ich nicht immer folgen und biege schon bald auf die 829 ab, wo ich in einem Birkenwald einen hübschen Platz mit Blick auf Berge und einen See finde.
Auch die Mitternachtssonne hätte ich hier theoretisch sehen können, was nur leider durch Mitternachtswolken vereitelt wurde.
Erkundungen auf gelben Straßen rund um den Raftsund
Samstag, den 22. Juni (14. Tag)
Am nächsten Morgen höre ich wieder den Regen aufs Dach trommeln, aber das Schauer geht vorüber. Dafür ist es ziemlich kalt, nur 5 bis 7 Grad zeigt das Thermometer an.
Aber schon bald verziehen sich die Wolken weitgehend und die Sonne strahlt von einem tiefblauen Himmel herunter, als hätte es nie schlechtes Wetter gegeben.
Ich fahre weiter im Sonntagsfahrertempo auf der 829 und entdecke hinter dem Örtchen Gröv am Ufer eine Skulptur in Form eines kreisrunden Ornaments von vielleicht 3m Durchmesser. Mit dem Hintergrund der Schären und Fjorde unterm blauen Himmel ist das schon ein Foto wert.
Bald bin ich wieder auf der E10 und fahre über eine kostenlose Hängebrücke zur Insel Hinnöya.
Auch hier ist auf der E10 wenig Verkehr, weshalb ich mein Bummeltempo fortsetzen kann. Auf meiner Karte ist eine gelbe Straße eingezeichnet, die durch einen Tunnel und über eine Brücke zur Insel Austvagöy führt. Diese geht von der Straße Nr. 837 ab, welche ich in Kanstad erreiche. Hier wird die Straße meist einspurig und die Umgebung noch abwechslungsreicher: Fjorde, Seen, Wälder, immer wieder ein buntes Holzhäuschen und wahlweise in der Ferne der Blick auf Festlandnorwegen…
…oder die Bergkette der Lofoten.
Hinter jeder Kurve eine andere Aussicht. Die Abzweigung nach Austvagöy finde ich nicht, reduziere aber das Tempo weiter und trödele durch die Gegend. Ab und zu kommt jemand von hinten, der wird dann vorbeigelassen oder man zwängt sich am spärlichen Gegenverkehr vorbei, weil der natürlich immer dann kommt, wenn gerade keine Ausweichstelle in der Nähe ist. Ich sehe auch immer wieder Wohnmobile und sogar Wohnwagegespanne irgendwo in freier Wildbahn herumstehen. Das macht auch mir Mut für die heutige Stellplatzsuche. Als die Berge ringsherum aus zerklüfteten, mit Moosen und Flechten bewachsenen Felsen bestehen, gebe ich meinem Bewegungsdrang nach, schnüre die Bergschuhe und suche mir einen Weg auf einen dieser Berge hinauf. Oben bietet sich dann eine phantastische Sicht über den Vestfjord. Der Platz, an dem das Auto jetzt steht, eignet sich auch bereits für die Übernachtung, aber ich will unbedingt wissen, wie es am Ende der Straße aussieht, also geht es weiter.
Die Straße endet aber tatsächlich in Öksneshamn, wie auf meiner Karte verzeichnet, und zwar ziemlich abrupt mitten im winzigen Hafen des Ortes. Also wenden und jetzt ist es auch Zeit, einen Platz zum Schlafen zu suchen. Der ist bald am Ende eines kleinen Fjords gefunden. Bis 19 Uhr kann ich noch in der Sonne sitzen, allerdings ist die Luft nicht wärmer als 14 Grad. Norwegische Camper ficht das natürlich nicht an, die laufen jetzt mit bloßem Oberkörper und kurzen Hosen herum, aber wir Mitteleuropäer sind da doch etwas verweichlicht.
Gegen 20 Uhr kommt plötzlich eine Ziegenherde über den nächsten Hügel und frißt sich meckernd und bimmelnd um das Auto herum, aber bald hat sie der Hirte mit Hund wieder eingesammelt und nach Hause getrieben.
Sonntag, den 23. Juni (15. Tag)
Auch auf dem Rückweg finde ich die Abzweigung nach Austvagöy nicht und fahre wieder auf die E10. Aber nicht lange, denn als nächstes lockt die Straße 822 zum Abbiegen. Hier geht es entlang des Sortlandsund, allerdings ist die Gegend hier nicht so reizvoll, wie an der 837 am Kanstadfjord entlang und mit Blick auf den Vestfjord.
Aber dank wenig Verkehr kann ich auch hier herumtrödeln, lande aber doch irgendwann am Ende der Straße in Kaljord. Hier geht um 19:45 eine Fähre nach Hanöy auf der Insel Austvagöy, die nächste um 9:00 am Montagmorgen und dann täglich um 14:05. Nach den gemachten Erfahrungen merke ich mir natürlich alle in Frage kommenden Abfahrtszeiten. Bis zur nächsten Fähre habe ich noch 4 Stunden Zeit. Ich bummle langsam zurück, schaue mir den kleinen Fischereihafen von Hennes an und finde schließlich einen Platz an der Straße mit Blick aufs Wasser. Nachdem die gegenüberliegende Brücke im Verlauf der E10 zur Insel Langöya per Fernglas in Augenschein genommen wurde…
…und auch ein Schiff der Hurtigruten vorbeigekommen ist,…
…fange ich in der Sonne an zu lesen: Knut Hamsun, Landstreicher. Zuvor habe ich mich durch das Werk „Nördliche Utopia“ eines gewissen August Hoppe gequält, der in geschraubten Sätzen 1948 der Menschheit erklären wollte, welche Entwicklungschancen Nordnorwegen hätte, wenn man es nur ließe.
Aber bei Hamsuns Buch merke ich recht bald, das ich mich exakt am Ort des Geschehens befinde: Da ist vom Lofot-Fischfang die Rede und von einer Insel Hadsel, der ich genau gegenübersitze. Und die Helden segeln durch den Raftsund, neben dem die Fähre anlegen wird, die ich zu nehmen gedenke.
Ach ja, die Fähre. Um nicht wieder eine solche Pleite zu erleben, mache ich mich um 19:00 auf den Weg und bin auch der erste in der kurzen Warteschlange. Die Überfahrt kostet 67 NOK und dauert eine Dreiviertelstunde. Da es an Deck recht kalt ist und der Aufenthaltsraum unten im Schiff liegt, setze ich mich ins Auto und lese weiter.
In Hanöy wende ich mich links, um herauszufinden, ob es die Straße, nach der ich seit gestern suche, wirklich nur in der Phantasie der Kartenzeichner gibt, denn hier bin ich am anderen Ende der Strecke. Und tatsächlich, hier geht es nur in südwestlicher Richtung am Raftsund entlang nach Digermulen, anstatt nach Osten. So fahre ich noch eine Weile am Raftsund entlang.
Unterwegs sehe ich immer wieder Leute, die damit beschäftigt sind, riesige Holzfeuer anzuzünden, denn heute ist „Sankthansaften“ und da werden, wie anderswo auch, die Mittsommernachtsfeuer angezündet.
Bald finde ich einen Platz mit Blick aufs Wasser, allerdings auch recht dicht an der Straße, die aber eher spärlich befahren ist. Nach meiner Karte ist der Raftsund aber eine Hauptschiffahrtsroute, die auch von den Schiffen der Hurtigrute befahren wird.
Es kommen tatsächlich ein paar Schiffe vorüber, aber keine der Hurtigruten.
Auch von den Mittsommerfeuern ist hier nichts zu sehen, wohl auch, weil das gegenüberliegende Ufer des Raftsunds unbewohnt ist. Dafür findet sich hier der Trollfjord, ein extrem enger Fjord, der von Stokmarkenes aus mit Ausflugsschiffen angefahren wird. Und auch die Hurtigrutenschiffe fahren in den Sommermonaten hinein, um den Passagieren etwas Nervenkitzel zu bieten.
(c) Henning Schünke
Hey – Ich bin fasziniert von Deinem 1. Teil – wollte eigentlich nur kurz mal reinschauen, aber Deine Schreibweise hat mich so begeistert, daß ich fast eine Stunde damit verbrachte. Ich selbst bereise das Land seit 2005, habe mir 2014 ein Kleineres Wohnmobil zugelegt, aber habe mehr den südlichen und westlichen Teil angeschaut – und auch immer wieder mal geangelt. Gruss Bodo Ps.: in ca. 3-4 Wochen geht es wieder auf Tour.
Hallo Henning,
heute bin ich auf deine Homepage gestoßen und habe mir direkt deinen Reisebericht von Norwegen geschnappt 🙂 ist zwar schon paar Tage her das du da warst, dennoch fasziniert mich dieses Land am meisten.
Dieses Jahren waren wir mit einem gemieteten Wohnmobil viert Wochen in Norwegen und haben es hoch bis zu den Lofoten geschafft, Nordkapp haben wir uns für die nächste Reise aufgesparrt. Auch Torghatten besuchten wir und waren ein wenig verärgert über den NoCamping Schriftzug den wir auf dem Parkplatz vorfanden.
Ich hoffe du machst dich nochmal auf den Weg in das Wikinger Land und schreibst ein weiteren Reisebericht.
Wir werden es verfolgen. 🙂