Hallo zusammen,
heute vor 200 Tagen, am 24.6.2013, habe ich zum bisher letzten Mal im Steinhaus geschlafen. Seit dem habe ich 3795 Liter Wasser verbraucht und 1142 Liter Diesel getankt. Ich habe 17 Gasflaschen geleert und 69 Euro in Landstrom investiert. Ich bin 8708km kreuz und quer durch Deutschland gefahren. In dieser Zeit habe ich knapp 40 Campingplätze, offizielle und inoffizielle Stellplätze besiedelt.
Aber das sind alles Zahlenspiele. Was hat es mir sonst gebracht?
Jede Menge Zeit für mich, die ich zum Herumreisen genutzt habe, um mir etwas anzusehen, Sachen auszuprobieren, zu Bloggen, Löcher in die Luft zu gucken oder die ich auch im Internet verdaddelt habe.
Ich habe einigen Ballast abgeworfen. Das ist nötig, wenn man nur 30 Schrankfächer hat, inklusive Kühlschrank plus Heckgarage und eine begrenzte Zuladung von ein paar hundert Kilogramm.
Ich habe einiges an Geld gespart, wovon ein Teil in Diesel für die Fortbewegung investiert wurde.
Aber was bin ich denn nun, in welche Schublade gehöre ich? Bin ich ein Konsumverweigerer, wie dieser junge Mann aus Berlin?
Nein, sicherlich nicht. Ich habe weniger eingekauft, das stimmt. Nicht, weil ich bewußt auf irgendwas verzichten wollte, sondern weil es nicht nötig ist. Nehmen wir mal den Kühlschrank. Der ist relativ klein, eigentlich zu klein. Aber so sind nur die Sachen drin, die ich auch aufesse, bevor sie schlecht werden. Im Steinhaus musste ich immer wieder was wegwerfen. Diese „Na, kann man ja mitnehmen“ Käufe, die bleiben weitgehend aus. Natürlich macht sich das auch in den Finanzen bemerkbar. Früher, als Tengelmann- und Edeka-Kunde, habe ich selten weniger als 30 Euro für den Wocheneinkauf ausgegeben, jetzt sind es meistens zwischen 15 und 20 Euro bei Lidl und Aldi.
Ein Beispiel ist auch die klassische Tiefkühlpizza. Davon habe ich, noch im Steinhaus, drei bis vier Stück pro Woche vertilgt. Das ging schnell und war bequem. Wenn ich jetzt eine Tiefkühlpizza kaufe, muss ich sie am gleichen Tag aufessen, weil ich sie nicht lange kühlen kann. Das Eisfach ist viel zu winzig dafür. So erfand ich für mich die Pfannenpizza.
Bin ich gar ein umweltbewegter Öko?
Nein, dafür fahre ich ein viel zu großes Auto und habe auch noch Spaß dabei. Gut, da sind ein paar Solarzellen auf dem Dach und es sollen auch noch mehr werden. Außerdem schleppe ich bei jeder Gelegenheit meinen geliebten Solarkoffer vor die Tür und baue ihn auf, was alle zwei bis drei Stunden eine „Energiewende“ erfordert, nämlich das Neuausrichten nach der Sonne.
Auf den Spritverbrauch beim Fahren achte ich, weil es einen Unterschied in meiner Kasse macht, ob ich 12 oder 15 Liter pro 100km durch die Einspritzdüsen jage, nicht, weil ich die Welt retten will.
Bin ich ein Aussteiger?
Gott bewahre, Aussteiger leben im Wald von Beeren oder Pilzen und wickeln sich in abgelegte Bärenfelle. Ich mag das Leben im Mitteleuropa des 21. Jahrhunderts. Es könnte weniger reglementiert und standartisiert sein, aber ich konnte immer wieder wenig reglementierte Ecken finden, wenn auch nicht am Salzhaff.
Wenn ich nichts Besonderes bin, warum dann das alles?
Dafür muss ich mal wieder etwas ausholen. Ich hatte, in grauer Vorzeit, eine vermeintliche Lebensstellung beim Weltkonzern Microsoft. Das sollte irgendwann nicht mehr so sein und auch meine Lebensumstände erwiesen sich als ähnlich prekär, wie die vieler Anderer, die heute, trotz Studium, nur von einer Praktikumsstelle zur Nächsten weiter gereicht werden. Ich war 2011 in den Fängen des Jobcenters, wo man wieder ein anständiges Mitglied der arbeitenden Bevölkerung aus mir machen wollte, mindestens bis zur Rente mit 67. Ich aber wollte da raus, ich wollte raus aus der Tretmühle, wusste nur nicht genau, wie.
Gegenüber vielen anderen in ähnlicher Lage habe ich ein paar Vorteile: Keine Familie, keine Schulden und eine Eigentumswohnung in guter Lage. Ich muss mich also nur um mich selbst kümmern. Es gab Zeiten, da wäre ich vielleicht auch in eine Landkommune gegangen, wenn ich eine gekannt hätte. Aber da war auch noch das Wohnmobil und eine Lust am Tapetenwechsel. Dann habe ich die Seiten von den AMUMOTs und Jonsonglobetrotter gefunden und mich dort tagelang festgelesen.
Ziemlich schnell war klar: Das, was die hier mitten in Deutschland können, das kann ich auch. Und wenn ich das wirklich will, dann ist jetzt eine gute Gelegenheit dazu. So wurde das Wohnmobil vom Hobby zur Lebenseinstellung und zum Lebensraum.
Mein treuer Kastenwagen hätte wohl den benötigten Wohnraum geboten, aber es wäre eng gewesen und nur Weniges hätte ich zusätzlich mitnehmen können. So habe ich in gebrauchte Weißware investiert und es bisher nicht bereut.
Aber ist das nicht gefährlich? Was ist, wenn..?
Ja, das ist so gefährlich wie das Leben und das ist Lebensgefährlich. Hundertprozentige Sicherheit gibt es erst im Tod. Ich habe die nötigen Versicherungen und werde mich, wie alle anderen auch, vorsehen und auch mal aufs Glück vertrauen müssen.
Die „Was ist, wenn…“-Frage lässt den Familienvater mit halb abbezahltem Reihenhaus auch blass werden, also Mut zur Lücke.
Zwei meiner Ex-Kollegen bei Microsoft hat es kurz nach meinem Weggang dort durch Unfälle aus der Bahn geworfen. Was machen die jetzt?
Keine befriedigende Antwort, darum Mut zur Lücke und zum Leben. Schwierig in einer vermeintlichen Vollkaskowelt, aber wir werden alle diesen Mut brauchen. Ich glaube, ich habe jetzt mehr davon, als früher.
Wovon will ich leben?
Nun, da ist einmal meine vermietete Eigentumswohnung. Dann etwas Geld auf der hohen Kante, von dem ich in Zukunft immer weniger wegnehmen will. Dafür muss ich weiter laufende Kosten senken.
Dieser Blog wirft, auch wenn manche das jetzt vielleicht nicht glauben, noch nichts ab. Ich will auch nicht für Suchmaschinen oder Klickbots schreiben, sondern für echte Leser. Nur wenn es davon genug gibt jeden Tag, kann ich mir vielleicht einen Werbepartner suchen.
Einer Arbeit mit freier Zeiteinteilung, die sich mobil erledigen lässt, bin ich auch nicht abgeneigt. Oder mal irgendwo vor Ort für ein paar Wochen mithelfen und dann weiterziehen. Aber ich will keine chefgesteuerte Vierzigstundenwoche mehr.
Als Spinnerei gibt es da noch ein angefangenes Romanprojekt. Jetzt ist die Zeit, daran weiter zu schreiben.
Wie soll es weitergehen? Wann werde ich vernünftig?
Ich glaube, ich war lange nicht mehr so vernünftig, wie gerade jetzt. Es geht mit gut und ich will das so lange machen, wie ich Spaß daran habe.
Erst mal auf die nächsten 200 Tage!
Mache ich jetzt alle 200 Tage so einen riesen Terz darum?
Nein, bestimmt nicht, aber das hier musste ich mal loswerden.
Gruß
Henning
Du machst alles richtig. Auch wir sind seit 2013 freiwillig Verstoßene. 😉 Alles Gute weiterhin.
Jan und Tini…
Hallo Henning, toller Beitrag. Ich habe mir den Spiegelbeitrag durchlesen und leider auch die vielen Kommentare dazu.
Ich würde uns schon als eine Art Aussteiger betrachten, schon aus dem Grund, weil wir ein Leben führen, dass nicht in die Schablone vieler Anderer passt. Wir entsprechen nicht der Norm und damit hat der Deutsche (ich sag es jetzt mal so platt) ein Problem.
Auch wir hören es des öfteren, das geht doch nicht, das kann man doch nicht und wenn, wenn, wenn.
Auf die nächsten vielen Tage , Wochen oder Jahre. Egal was es wird, es ist deine Wahl.
Andreas
Ja, die Kommentare zum Spiegel Artikel waren schon… naja.
Wenn die alle, die da dem vermeintlichen Aussteiger Schmarotzertum vorwerfen, so selbstlos wären, wie sie es von ihm verlangen, wäre der Kommunismus nicht gescheitert…
Und wer schadet der Allgemeinheit mehr? Jemand, der von vielleicht 1.000€ im Wohnmobil lebt oder ein Investmentbanker, der mit einem Federstrich tausende Existenzen vernichtet?
Noch mal zum Aussteiger: Hab ich ja geschrieben, der haust im Wald und lebt von Beeren und Pilzen, also nach meiner Definition. Das machen wir ja nicht. Wir fahren Auto, tanken, kaufen ein, fahren auf der Straße, die wir auch mitbezahlt haben. Lassen uns von Polizei verscheuchen, die auch von unseren Steuergeldern bezahlt wird etc.pp.
Aus Sicht des Familienvaters im halb bezahlten Reihenhaus sind wir Aussteiger, weil wir nicht in sein Schema passen, das ist klar.
Hallo Henning !
Gratuliere zu deinen 200 Tagen !
Die nächsten 200 schaffst du auch…weiter so.
Gruß Bernd !
Hallo Henning,
ich finde das sehr Interessant und auch ich bin froh vor knapp 5 Jahren , damals noch ein Kastenwagen, ein mobiles Zuhause gefunden zu haben. Seit Dezember 2010 sind wir nun dauerhaft auf Tour und eigentlich gefällt mir das Leben so ganz gut. Die Finanzierung des ganzen ist das größte Problem, So enden einige Wohnmobilbewohner irgendwo im Zerfall und treiben sich dann hier in Portugal an der Küste rum. Leben in von Rost verfressenen Fahrzeugen und man fragt sich, was kommt danach, wenn er das Fahrzeug mal nicht mehr gibt…. Auch ist ein Problem die Vereinsamung und die zunehmende Abschottung von anderen. Ich habe das schon öfters beobachtet, die Leute werden dann sehr speziell und finden keinen Anschluss mehr an andere. Man könnte auch sagen, der Mensch wird wieder zum Individuum und passt nicht mehr in die allgemeine Weltanschauung.
Der junge Mann aus Berlin hat es aber erkannt, Zeit ist das wertvollste Gut! Ich verbringe sehr viel Zeit im Internet und mit lesen. Ich versuche mich weiter zu bilden. Bringe mir immer wieder neue Dinge und versuche natürlich aus Hobbies einen Beruf zu machen oder damit auch mein Leben zu finanzieren. Das Wohnmobil ist für mich der ideale Lebensraum, in Verbindung mit Überwintern im Süden, wo es warm ist und täglich lange draußen sein, selbst wenn es nur in der Sonne sitzen ist, oder am Strand sitzen und stundenlang den Wellen zuschauen. Das schöne am Ungebunden zu sein ist, dass man so ungebunden ist. Wir hatten 3 schöne und interessante Jahre hinter uns. Das nächste Jahr soll für uns etwas Veränderung bringen. Wir werden etwas weniger unterwegs sein und mehr an neuen Plänen arbeiten. Ich wünsche dir für die nächsten 200 Tage sehr viel Spaß! Mach deinen Blog schön so weiter, er ist sehr interessant und gut geschrieben!
Hallo Henning,
na dann gratuliere ich mal zu Deinen 200 Tagen ohne Steinhaus!
Schaue immer noch alle paar Tage in Deinen Blog und bin erstaunt wie perfekt Du Deine Ausgaben auflistest. Da wäre ich viel zu faul dazu, würde ewig das Aufschreiben vergessen.
Ich bin seit 1. Januar nun 8 Jahre unterwegs, das einzige was ich aufschreibe ist wo ich übernachte und meine Ausgaben, diese aber nur allgemein, nur Kassenzettelbeträge werden zusammengezählt damit ich den Überblick behalte. Onlinebanking mach ich nicht mehr, mein Sohn macht meine Post.
Bin ja gespannt wie lange Du das so durchziehst. Wünsch Dir weiterhin immer gute Fahrt!
Gruß aus Portugal
tuga
Ich habe ein Excel-Sheet, da trage ich das alles ein, wenn auch noch nicht komplett. Aber nach einer Weile sieht man so, wo das Geld hingeht. Als ich noch dick verdient habe, hätte ich das auch nie gemacht. Aber jetzt kann es schon mal nützlich sein.
Klar, die Finanzen muss man im Auge haben, im Zerfall will ich nicht enden, Notanker ist ja immer noch die Wohnung.
Wie schon auf Skype gesagt, der Satz ist der Beste:
„Das schöne am Ungebunden zu sein ist, dass man so ungebunden ist.“
Kann ich nur unterschreiben.
Man liest sich weiterhin, bei dir ist ja auch immer was los.