Norwegen 2002 – Teil 2
Inhaltsverzeichnis
- Erkundungen um Digermulen, Campingplatz Laukvik und die erste Mitterachtssonne
- Lofoten-Kathedrale, Museum, Henning in Henningsvaer und Eggum
- Auf der E10 bis Å, dazu Trockenfisch und Lebertran
- Motormuseum, Nesland, Nusfjord und eine Nacht am Strand bei Utakleiv
- Bei den Wikingern und der Hurtigrute
- Trockenfisch, Kjentman und der ideale Übernachtungsplatz
- Nyksund, Stø und wieder Nyksund, diesmal zu Fuß
- Weiter nach Andøya
Erkundungen um Digermulen, Campingplatz Laukvik und die erste Mitterachtssonne
Montag und Dienstag, den 24.-25. Juni (16. und 17. Tag)
Am nächsten Morgen fahre ich weiter nach Digermulen, denn ich habe mir jetzt vorgenommen, möglichst viele kleine Stichstraßen abzufahren, dort liegen meistens die hübschesten Ecken. Und auch hier werde ich nicht enttäuscht. In Digermulen teilt sich die Schotterstraße. Ein Abzweig führt nach Arstein und weil dort ein Schild steht, fahre ich hier zuerst entlang. Es geht, immer zwischen Felsen und Meer, auf schmaler Schotterpiste eine wildromantische Küste mit vorgelagerten Schären entlang. An manchen Stellen ist schneeweißer Strand mit türkisfarbenem Wasser zu sehen.
Und dazu das richtige Wetter mit strahlendem Sonnenschein von einem tiefblauen Himmel. Also fast wie in den Tropen. Aber das Wasser ist eiskalt und die Luft ist kaum 14 Grad warm. In Arstein endet die Straße an einem kleinen Bootsanleger. Davor ist noch ein richtiges Camper-Idyll zu bewundern: An einem Schuppen prangt unübersehbar ein Schild „NO CAMPING“. Aber direkt neben dem Schuppen steht ein weißer Kastenwagen, dessen Bewohner ihre Markise am Schuppen festgebunden haben und gegenüber hat sich eine Wohnwagenbesatzung häuslich eingerichtet, übrigens mit einem der erwähnten Strände vor der Tür und es schlängelt sich ein Stromkabel aus dem Schuppen mit dem Schild zu dem Wohnwagen. So ernst kann es dann ja mit dem Campingverbot nicht gemeint sein. Aber vielleicht sind das auch die Verwandten des Schuppenbesitzers und für die gilt dieses Verbot nicht.
Ich fahre wieder zurück nach Digermulen und nehme den anderen, unbeschilderten Abzweig. Hier geht es mehr im Hinterland zuerst durch Wald, bis die Schotterstraße dann, sich zwischen Felsen hindurch windend, einen kleinen Fjord nach dem anderen berührt, von denen jeder hübscher als der vorherige ist. In dem einen liegen baumbewachsene Schären mit kleinen, versteckten Holzhäuschen darauf…
…in einer anderen Bucht mit einer engen Zufahrt zwischen bewaldeten Felsen hindurch liegt ein Kajütboot am Steg, bunte Wäsche trocknet im Wind.
An einer anderen Stelle wird der Blick aufs Meer durch eine steile Felswand verstellt. Auf der anderen Seite der Straße liegt ein fast verlandeter kleiner See in einem Birkenwäldchen. Die Straße endet schlieslich in Storfjell, das liegt gegenüber von Öksneshamn am Öksfjord, wo ich zwei Tage zuvor war.
Auf dem Rückweg mache ich Mittagsrast mit Blick auf einen der paradiesisch schönen Fjorde. Man kann sich kaum vorstellen, dass diese Gegend im Winter wochenlang im Dunkeln liegt.
In Digermulen war mir schon auf der Herfahrt eine Kirchturmspitze aufgefallen, die auf einem Hügel aus den Bäumen ragt. Ich parke vor dem Laden des Ortes und steige den Berg hinauf. Oben steht ein achteckiges, weißes und leider abgeschlossenes Steingebäude.
Aber wenn ich schon mal vor dem Laden parke, kann ich auch gleich einkaufen. Langsam bin ich den ewigen Orangensaft und Tee zum Trinken leid. Hier erwerbe ich dann jeweils so exotische Getränke, wie „Champagne Brus“, eine süße Brause, „Cider“ ein Mix aus Apfelsaft und Traubensaft und eine Flasche „Solbaer Sirup“ der aber wohl noch der Verdünnung bedarf.
Ich fahre jetzt die Strecke zurück und hinter dem Fähranleger, wo ich am Vortag hierher abgebogen bin, geht es jetzt durch mehrere lange Tunnels zur E10 bei Fiskeböl. Einer dieser Tunnels führt mehr als 3 km lang unter einem Fjord hindurch. In Fiskeböl halte ich mich gar nicht lange mit der E10 auf, sondern nehme gleich den ersten Abzweig nach Laukvik, denn diese Straße soll meiner Karte zu Folge an der Küste entlang führen, wenn auch Laukvik darauf nicht verzeichnet ist. Schon bald geht es auf Schotterstraßen durch eine einsame, weite und flache Gegend, die manchmal an Island erinnert. Dies scheint Schwemmland zu sein, denn die für diese Küste so typischen Berge beginnen erst im Hinterland. Aber auch hier gibt es wieder einen Fjord, den einsam gelegenen Morfjord. An dessen Ufer liegt, direkt neben der Straße, das Wrack eines alten Holzschiffs.
Ein weiterer Fjord wird von der Straße auf einem Damm durchquert. Jetzt wird die Gegend etwas belebter und Laukvik ist erreicht. Da alle Tanks voll sind, die bei einem Wohnmobil nicht voll sein sollten und ich Lust auf eine Pause habe, niste ich mich auf dem hiesigen Campingplatz für 100NOK/Nacht inklusive Strom ein.
Am Campinglatz verweist ein kleines Schild auf den Weg zum Meer und da Sonnenlicht auch noch Nachts aus dieser Richtung auf den Platz scheint, mache ich hier gegen Mitternacht eine kurze Wanderung und wirklich: Hier sehe ich meine erste Mitternachtssonne. Sie steht um etwa 0:30 Uhr leuchtend gelb etwa einen Finger breit über dem Horizont. Da auch die Norweger Sommerzeit haben, ist Mitternacht nach Sonnenzeit ja erst um ein Uhr, also erreicht sie auch dann erst ihren tiefsten Stand. Aber so lange möchte ich nicht warten, zumal es auch ziemlich kalt ist. Die taghellen Nächte der letzten Wochen sind mir Beweis genug, dass die Sonne auch um ein Uhr nicht viel anders aussehen wird und ich gehe ins Bett.
Den nächsten Tag verbringe ich lesend in der Sonne, hierüber gibt es nicht viel zu berichten.
Lofoten-Kathedrale, Museum, Henning in Henningsvaer und Eggum
Mittwoch, den 26. Juni (18. Tag)
Jetzt geht es weiter zur E10, zunächst bis Kabelvag. Hier fällt mir zunächst eine recht große, schön in braun und ockergelb gestrichene Holzkirche ins Auge. Dies ist die „Vagan-Kirke“, die größte Holzkirche nördlich von Trondheim, deshalb auch Lofotenkathedrale genannt.
Nicht weit von hier ist das Lofot-Museum und das Aquarium zu besichtigen. Im Lofotmuseum darf man einen Blick in die gute Stube des Grundbesitzers werfen…
…wie auch in die „Rorbuer“ genannten Holzhütten der Fischer, die dem Grundbesitzer gehören.
Diese sind direkt am Wasser, oft auf Stelzen halb im Wasser erbaut und dienten den Fischern während des Lofotfischfangs von Januar bis April als Unterkunft. Diese Unterkünfte waren nur aus unbearbeiteten Brettern primitiv zusammengezimmert und boten nicht mehr als ein Bett. Ob dieses immer trocken blieb, muß angesichts des löchrigen Daches bezweifelt werden. Dafür war das stille Örtchen immer gut belüftet.
Erst in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderst erließ die norwegische Regierung Bestimmungen, die einige Mindeststandards für die Unterbringung der Fischer festlegen sollten.
Das Wort Rorbu bedeutet soviel wie Ruder-Dorf (Ror = Rudern, Bu = Dorf), weil zu diesen Dörfern meist gerudert wurde.
Neben all diesem sind auch ein paar Boote…
…Fischfanggerät und alte Schiffsmotoren zu sehen. Zwischen dem Fischfanggerät findet sich auch der größte und der kleinste Angelhaken der Welt. Der Größte wäre recht gut auch für einen Kran geeignet, während der Kleinste mit bloßem Auge kaum zu erkennen ist.
Im Aquarium wird die heimische Unterwasserwelt in verschiedenen Becken vorgeführt. In den Aussenbecken tummeln sich Fischotter und Robben und eine Lachsfarm kann aus der Nähe besichtigt werden. Diese besteht aus kreisrunden Schwimmkäfigen von vielleicht 8-10m Durchmesser, die im Meer treiben. Damit keine Vögel den leckeren Fisch stibitzen, ist auch oben ein Netz gespannt. Hin und wieder springt ein Lachs aus dem Wasser.
Im Restaurant des Aquariums esse ich Walsteak vom Zwergwal. Das schmeckt ungefähr wie Leber und sieht auch so aus, ist allerdings etwas weniger zart.
Jetzt noch kurz in die „Galleri Espolin„, das Museum des Malers Kaare Espolin Johnson. Er hat Bilder vom Leben der Menschen im Norden gemalt.
Weiter geht es auf dramatischer Straße entlang der Küste und über zwei kühn geschwungene Betonbrücken nach Henningsvaer. Dies ist ein hübscher Fischer- und Touristenort, wo es an jeder Ecke eine „Rorbuer“ als Unterkunft zu mieten gibt.
Ich fahre weiter zur Insel Gimsöy und auf einer schmalen Schotterstraße nördlich um diese herum. Hier ist die Gegend mehr tundraartig, flach mit kleinen Büschen bestanden. Berge erheben sich erst in der Mitte der Insel. Im Ort Gimsöy lockt ein fast menschenleerer, weißer Strand zu einem Spaziergang direkt an der Waserlinie.
Ich erreiche wieder die E10 um über eine Brücke zur nächsten Insel, Vesteragöy, zu gelangen. Hier biege ich gleich ab und fahre auf Schotterstraßen um die Halbinsel Höynesasfa herum. Auch hier ähnliche Landschaft wie auf Gimsöy. Die dramatischen Felsenküsten scheinen eher an der dem Vestfjord zugewandten Seite der Lofoten zu liegen. Hier finde ich schließlich nach einigem Hin und Her einen Stellplatz auf einem Rastplatz an der Straße mit Blick auf einen See. Gegen 0:30 dringt plötzlich helles gelbes Licht durch die Ritzen der Rollos vor den Fenstern. Ich schaue hinaus, und wirklich: Hinter dem Auto leuchtet eben über ein paar Hügel hinweg eine fahlgelbe Mitternachtssonne.
Donnerstag, den 27. Juni (19. Tag)
Da ich bei meiner Bummelei das Tanken immer wieder hinausgeschoben habe, ist der Tank jetzt fast leer. Ich muß also zunächst in einen größeren Ort, um eine Tankstelle zu finden. Dies gelingt schließlich in Leknes, wo ich auf der E10 hinfahre. Von Campingplatznachbarn habe ich allerdings von einem Stellplatz in Eggum gehört und dafür muß ich wieder ein Stück zurückfahren, denn ich will es mir zumindest mal ansehen. Eine schmale Teerstraße führt nach Eggum und am Ende des Ortes geht es auf Schotter weiter. Hier steht ein Schild, das die Übernachtung für 20 NOK erlaubt. Ich werfe meinen Obolus in den kleinen Kasten und fahre weiter. Ein weitläufiges Wiesengelände direkt am Meer mit verschiedenen, mehr oder weniger ebenen Plätzen, von denen auch schon einige besetzt sind.
Ich finde schließlich einen etwas erhöht liegenden Platz und richte mich häuslich ein. Obwohl es erst Mittag ist und ich noch nicht wirklich viel vorangekommen bin, beschließe ich hier zu bleiben, baue also den Windschutz auf und setze mich in die Sonne. Später unternehme ich dann noch eine Wanderung zu einem Wasserfall mit einem aufgelassenen Kraftwerk in der Nähe und auch ein Stück an der Küste entlang.
Da man den Weg an der Küste entlang noch eine Weile fortsetzen könnte, beschließe ich, noch einmal wieder zu kommen und das dann nachzuholen.
Bis Mitternacht herrscht hier mehr Betrieb als an mancher der Durchgangsstraßen, neben denen ich bisher gestanden bin, denn natürlich ist hier mit freiem Blick Richtung Norden die Mitternachtssonne zu sehen. Die ist so hell, daß Schlafen nur im komplett verdunkelten Auto möglich ist.
Auf der E10 bis Å, dazu Trockenfisch und Lebertran
Freitag, den 28. Juni (20. Tag)
Am nächsten Tag geht es auf der E10 erst einmal zurück zur Brücke nach Gimsöy, denn wenn ich noch einmal nach Eggum will, kann ich auf dem Rückweg nicht die Straße Nr. 815 fahren, die hier beginnt und parallel zur E10 an der Küste entlang bis Leknes führt. Dies ist wieder die dem Vestfjord zugewandte Seite, weshalb hier auch die Küste felsig ist und jede Menge kleine Schären im Meer liegen. Hinter Leknes geht es auf der E10 für 65 NOK durch den 1,7km langen Nappstraumen-Tunnel. Jetzt bin ich auf Flakstad, einer der kleineren Lofoten-Inseln.
Bei Ramberg tut sich ein überirdisch schöner Blick auf die noch vor mir liegenden Berggipfel der Insel Moskenes auf. Die Berge sind steil, ihre Gipfel spitz und Wolkenfetzen hängen darin.
Auch für die E10 bleibt jetzt weniger Raum. Zwischen der Küste und den steilen Bergen haben die Straßenbauer aber immer noch etwas Platz gefunden. Manche Brücken sind allerdings schon einspurig und wenn sich Reisebusse oder LKW begegnen, kann es eng werden.
Auch für die Häuser der Bewohner bleibt nicht viel Platz und so schlängelt sich die Straße meist durch den schmalen, besiedelten Küstenstreifen. Schließlich ist dann auch Å erreicht, der Ort mit dem kürzesten Namen der Welt.
Hinter einem kurzen Tunnel bildet ein Parkplatz das Ende der E10. Von hier aus unternehme ich eine Erkundungstour durch den Ort.
Dieser scheint ein einziges Museum aus rotgestrichenen Rorbuern zu sein.
An vielen Häusern hängt ein Schild „Museum“ und eine Nummer dazu. Ich entdecke das angeblich einzige Trockenfischmuseum der Welt, das aber erst am nächsten Tag um 11 Uhr wieder offen sein wird. Trockenfisch ist eigentlich eine eher zähe Angelegenheit, aber vielleicht kann ich mich zum Besuch dieses Museums entschließen.
Ansonsten werde ich noch Zeuge, wie ein kleiner Raupenbagger von einem LKW ohne Rampe herunterkommt: Die Ladefläche des LKW wird leicht schräg gestellt. Der Bagger fährt nach hinten und stützt sich mit der Schaufel am Boden ab. Dann fährt er vorsichtig weiter, bis das eine Ende der Raupen den Boden berührt. Der Bagger steht jetzt in bedrohlicher Schräglage, mit dem einen Ende der Raupen auf dem LKW, mit dem anderen auf dem Boden. Jetzt wird der Arm mit der Schaufel und das Fahrerhaus um 180 Grad gedreht und die Schaufel stützt sich an der Ladefläche des LKW ab, um die Raupen von dieser weg zu drücken. Jetzt vorsichtig weiterfahren und das Gerät steht auf dem Boden. Leider war während dieser Aktion der Film voll, darum sei es hier aufgeschrieben.
Der Campingplatz von Å bietet keine echte Alternative zum Parkplatz. Für Wohnmobile ist dort nur eine staubige Ecke vorgesehen. Dort möchte man Tisch und Stühle nicht heraus stellen und auf diesem Parkplatz darf man es nicht.
Samstag, den 29. Juni (21. Tag)
Å ist tatsächlich überwiegend ein Museum. An der Kasse erhält man einen Aufkleber auf die Brust und darf damit in jedes der gekennzeichneten Häuser, mit dem Kombiticket auch in das Trockenfischmuseum.
Im Fischereimuseum erfahre ich nichts, was ich im Lofotmuseum in Kabelvag nicht auch schon gesehen hätte, also mache ich mich auf ins Trockenfischmuseum. Wider Erwarten riecht es hier überhaupt nicht nach Fisch, dennoch liegen jede Menge bizarr vertrockneter Fische darin herum, deren Verarbeitung hier gezeigt wird. Ich erfahre auch, daß Italien und Nigeria große Abnehmer des Trockenfisches von den Lofoten sind. Für Nord- und Süditalien werden sogar zwei verschiedene Sorten Fisch hergestellt und für die Afrikaner sind die Fischköpfe eine Delikatesse. Natürlich ist Trockenfisch das Gesündeste überhaupt, denn ein Kilo Trockenfisch enthält ebensoviel Proteine und Vitamine wie 5kg normaler Fisch.
In einem Video wird dann noch gezeigt, daß Lebertran, aus den Lebern der gefangenen Fische gewonnen, von fast jedem Norweger regelmäßig zu sich genommen wird. Ein Volk von 4 Millionen konsumiert 3,5 Millionen Flaschen jährlich. Ich werde neugierig und beschließe, selbst auch eine dieser 3,5 Millionen Flaschen zu kaufen. Natürlich haben sie welchen an der Museumskasse, wohin ich das deutschsprachige Begleitheftchen zurückbringe. Ich kaufe also eine Flasche für 40 NOK.
Beim Mittagessen am Hafen fällt mir auf, das ich die „Trandamperie“ also die Trankocherei ja noch gar nicht besichtigt habe. Das paßt zu meiner erwachten Neugierde auf Lebertran, also gehe ich rein. Neben allerlei, wenn überhaupt, dann nur auf norwegisch erklärtem Gerät steht hier auch ein Fläschchen zum Kosten. Ich überwinde mich und nehme einen Löffel. Es schmeckt fischig und fettig, aber lange nicht so scheußlich, wie es die weit verbreiteten Vorurteile vermuten lassen.
Nachdem ich jetzt wirklich alles ausgekostete habe, verlasse ich Å wieder in Richtung aufs Festland. Ich komme aber nur bis zum nächsten Ort, denn zwischen den Wohnmobilisten auf dem Parkplatz war Gestern die Rede von einem Stellplatz, der hier sein soll. Und richtig, ich entdecke den „Camping Moskenes“. Es gibt ein kleines Sanitärhäuschen mit einer Preisliste dran, aber keine Schranke und keine Rezeption. Dazu ist das Ganze auf einem Hochplateau über dem Meer gelegen und die Sonne scheint ganz wunderbar. Ich werde schwach, baue den Liegestuhl auf und beschließe hier zu bleiben.
Motormuseum, Nesland, Nusfjord und eine Nacht am Strand bei Utakleiv
Sonntag, den 30. Juni (22. Tag)
Am nächsten Morgen hat sich noch immer niemand blicken lassen, der die 125 NOK für ein „Bobil“ (norweg. für Wohnmobil) kassiert. Aus der Preisliste geht auch nicht hervor, wie die Bezahlung praktisch vor sich gehen soll. Eine Camperin, die wohl schon mal hier war, erzählt mir dann, der Platzwart käme immer abends um halb neun zum Kassieren. Nun, gestern abend kam er nicht und jetzt ist es bald zehn und er kommt wieder nicht. Der scheint es also nicht nötig zu haben, denke ich mir und verschwinde wieder.
Ich fahre zunächst bis Reine, leider ist aber das Postkartenidyll, das ich von diesem Ort in A gekauft habe, etwas vom Dunst verhüllt.
Wenige Kilometer weiter entdecke ich ein Schild, das zu einem Museum in Sund weist. Ich fahre hin und entdecke das Motormuseum. Nun habe ich in den bisher besuchten Fischereimuseen immer wieder Sammlungen alter Schiffsmotoren gesehen. Die waren aber alle ziemlich rostig und standen nur so herum. Hier ist aus jedem Haus ein deutliches Putt-Putt zu vernehmen und überall ragt ein Abgasrohr in den Himmel, aus dem kleine schwarze Wölkchen puffen. Und tatsächlich, fast jeder der ausgestellten Motoren tuckert gemütlich vor sich hin.
In einer Schmiede produziert ein Schmied mit „viele Laut“ und zwei motorbetriebenen Hämmern kleine Kunstwerke.
Dieses Museum scheint ein beliebtes Ziel bei den die Lofoten anlaufenden Kreuzfahrtschiffen zu sein. In der Zeit, in der ich mich hier herumtreibe, werden zwei Busgruppen durchgeschleust.
Die nächste Stichstraße führt nach Selfjord. Hier gibt es nichts Sehenswertes, aber es ist Zeit zum Mittagessen und die Deutsche Welle überträgt das WM-Finale Deutschland gegen Brasilien. Ich finde einen Platz an der Straße und teste zuerst den Kurzwellenempfang. Der ist akzeptabel, wenn man die Antenne zwischen die Speichen des Fahrrads klemmt. Also draußen sitzen und das bei diesem Wind. Aber hinterm Auto geht es. Ich schleppe alles heran, woraus man einen Windschutz improvisieren kann und sitze schließlich recht kommod um der Übertragung zu lauschen. Ärgerlich bei Kurzwellenempfang ist nur, daß der Sender ständig gestört ist und man dauernd nachstellen muß. Die letzte Viertelstunde muß ich schließlich stehend mit dem Radio am Ohr verbringen und praktisch ständig mit der Antenne herum wedeln. Aber alles nützt nichts, die Germanen verlieren 0:2. Naja, immerhin Vizeweltmeister.
Als nächstes warten die Orte Nesland und Nusfjord auf mich. Die Straße nach Nesland ist geschottert und führt recht abenteuerlich meist direkt am Wasser entlang oder zwischen den Klippen hindurch.
Immer wieder gibt es schöne Ausblicke aufs Meer.
Der Ort dagegen ist nicht unbedingt der Rede wert.
Bei Nusfjord ist es umgekehrt. Hier ist die Straße reisebusgerecht ausgebaut und ziemlich langweilig. Aber der Ort ist ein idyllischer Naturhafen, eingezwängt zwischen hohen Felsen. Fast der halbe Ort steht auf Stelzen mehr oder weniger im Wasser.
Beide Orte liegen auf der mehr felsigen, dem Vestfjord zugewandten Seite der Lofoten.
Da ich wirklich alle Stichstraßen mitnehmen will, lande ich auch noch bei einer Glashütte, wo man bereits für das Betreten des Ladens 20 Kronen haben will. Ich mache also wieder kehrt und fahre nach Myrland, diese Abzweigung liegt kurz vor der Öffnung des Nappstraumen Tunnels. Hier werde ich fast zum Mörder an einer Schafsfamilie. Statt, wie alle anderen, vom Auto weg zu rennen, wollen diese Tiere unbedingt noch vor dem Auto auf die andere Straßenseite. Aber ich kann rechtzeitig bremsen und so passiert nichts.
Auch Myrland bietet wenig, außer finsteren Wolken, die bedrohlich in den Bergen über dem Ort hängen.
Auch die Straße bietet keinen brauchbaren Übernachtungsplatz, denn es ist schon wieder Abend geworden. Und so stürze ich mich nochmals für 65 NOK in das finstere Loch des Nappstraumen-Tunnels, um auf der Insel Vestvagöy mein Glück zu versuchen. Hier findet sich auch bei Utakleiv an der Nordküste eine Schafweide, auf welcher der Bauer für 20 Kronen die Übernachtung erlaubt und das mit direktem Blick aufs Meer.
Und während ich dies schreibe, gibt mir die Mitternachtssone genügend Licht, um die Tasten zu finden.
Bei den Wikingern und der Hurtigrute
Montag, den 1. Juli (23. Tag)
Ich schlafe, wohl auch wegen der vollständigen Verdunkelung, etwas länger als beabsichtigt und lege darum Frühstück und Mittag zu einer Mahlzeit zusammen, um dann aufzubrechen. Zunächst geht es zurück zur E10 in Richtung Svolvaer, von der ich in Leknes zum Einkaufen wieder abfahre. Dann auf einer kleinen Stichstraße und durch zwei einspurige Tunnel nach Unstad, das einsam an einer Bucht liegt und bis zum Bau der Tunnel wohl nur auf Bergpfaden oder per Boot erreichbar war, denn ringsherum sind hohe Berge. Wobei „hoch“ ein relativer Begriff ist. Nur wenige Berge der Lofoten sind höher als tausend Meter, aber fast alle erheben sich direkt aus dem Meer und wirken deshalb höher, als sie der Meterzahl nach wirklich sind.
Aber auch in Unstad geht es nicht weiter und ich muß wieder zur E10.
Als Nächstes steht das Lofotr-Wikinger-Museum bei Borg auf dem Programm, welches direkt an der E10 liegt. Höhepunkte sind in dem weitläufigen Gelände eine Rekonstruktion eines ca. 80m langen Häuptlingshauses…
…und ein 23m langes, seetüchtiges Schiff, die Nachbildung des Gokstad Schiffes aus der Nähe von Oslo.
Im Häuptlingshaus wird nach Wikingerart gekocht und gegessen, es wird Handwerk gezeigt und Ausgrabungsfunde. Das Schiff wird zu Rundfahrten mit Besuchern verwendet, falls sich genügend Gäste zusammenfinden. In Zusamenarbeit mit dem Arbeitsamt von Leknes werden weitere Schiffe nachgebaut.
Nach dem Museumsbesuch fahre ich über die Insel Gimsöy auf der E10 bis zum Abzweig nach Brenna. Hier übernachte ich auf einem „Hanggrundstück mit Seeblick“ neben der Straße.
Gegen elf Uhr sind plötzlich Leute ums Auto herum und es klopft. Aber die guten Leute wollen mich nur darauf aufmerksam machen, daß das Licht noch brennt. Der Motor läßt sich aber noch starten und so bedanke ich mich artig für die freundliche Aufmerksamkeit und gehe zu Bett.
Dienstag, den 2. Juli (24. Tag)
Auf der E10 geht es jetzt nach Fiskeböl und dort mit der Fähre für 71 NOK nach Melbu auf der Insel Hadsel.
Hier biege ich auf die Nebenstraße ab, die westlich um die Insel herumführt, während die E10 im Osten liegt. Bald mache ich Mittagspause und ich bekomme Lust, bei dem herrlichen Wetter und der wenig befahrenen Straße ein bißchen zu radeln. So fahre ich 15km bis Stokmarkenes. Dort legt gerade das Hurtigruten-Schiff Vesteralen an und ich sehe, wie über eine seitliche Luke die Fracht per Gabelstapler ein- und ausgeladen wird, während die Passagiere ebenfalls ein- und aussteigen. Diese Schiffe sind hier ein ganz normales Verkehrsmittel, wie anderswo der Linienbus und man kann als Tourist so ganz nebenbei auch noch eine der schönsten Seereisen der Welt damit machen.
Dann fällt mir ein anderes Hurtig-Schiff auf, die „Finnmarken“, das aber nicht im Wasser liegt, sondern am Ufer aufgestellt ist und das man offensichtlich betreten kann. Da will ich natürlich rein.
In dem direkt daneben liegenden Laden gibt es zwar jede Menge Souvenirs, sogar zu recht moderaten Preisen, aber in das Schiff kommt man von hier nicht, da müßte ich im Museum gegenüber fragen.
Ich kaufe aber zuvor noch in paar Sachen, unter anderem ein kleines Schnapsglas mit der Aufschrift „Norway“ für meine Nachbarn, die zu Hause die Wohnung hüten. Was soll man sonst kaufen, wenn es nur eine Kleinigkeit sein soll? Alkohol in Skandinavien zu kaufen ist ökonomischer Unsinn, mit Lebertran macht man wahrscheinlich niemanden froh und Trockenfisch ist auch eher zum Erschrecken der Leute geeignet.
Bei dem Museum handelt es sich um das Hurtigruten-Museum, aber das Schiff ist leider wegen Reparaturarbeiten zur Zeit geschlossen. Naja, macht nichts, ich gehe trotzdem ins Museum. Als Erstes darf ich mir ganz allein in einem Riesenkinosaal eine Multivisions-Schau von der Hurtigrute ansehen, die mangels anderem Publikum nur für mich veranstaltet wird.
In der Ausstellung wird die Geschichte der Hurtigrute und das Leben an Bord gezeigt. Seit Aufnahme des Betriebes 1893 sind in Friedenszeit 97 Menschen bei Schiffsunglücken umgekommen. Das letzte Unglück war 1962. Jährlich werden einige hunderttausend Passagiere befördert, fahrplanmäßig, im Sommer und im Winter. Bei schwerem Unwetter werden einzelne, ungeschützte Häfen nicht angelaufen, aber es ist noch keine Fahrt witterungsbedingt ausgefallen.
Ich radele wieder zurück. Links und rechts der Straße wachsen Unmengen von Blumen aller Farben und Gerüche, irgendwo wird Heu geerntet und auch das duftet gut. Dann klatscht mal wieder eine Fliege an die Stirn (Mund immer schön zu halten). Es macht Spaß und ich habe etwas Bewegung an der frischen Luft, immerhin 30km Radfahren. Da macht es auch nicht mehr soviel, das ich mich vor dem Wandern in Eggum gedrückt habe (siehe 27. Juni).
Dem Auto packe ich das Fahrrad wieder hinten drauf und fahre dieselbe Strecke nochmal, jetzt ohne zu strampeln. Hinter Stokmarkenes geht es über zwei Brücken zur Insel Langöya.
Hier halte ich mich gar nicht lange mit der E10 auf, sondern biege gleich wieder auf Nebenstraßen ab, um Langöya entlang des Eidsfjord zu umrunden. Hier finde ich einen Platz mit Blick übers Wasser und wohl auch auf die Mitternachtssonne. Die Küste ist hier auch überwiegend felsig, wenn auch nicht mehr so zerklüftet, wie am Südrand der Lofoten.
Trockenfisch, Kjentman und der ideale Übernachtungsplatz
Mittwoch, den 3. Juli (25. Tag)
Bei meinem Übernachtungsplatz handelt es sich um eine Bushaltestelle, wie einem kleinen, arg verbogenen Blechschild zu entnehmen ist. Aber der Platz ist wirklich sehr groß und bietet eine einmalige Aussicht auf den Fjord. Es kommt auch am Abend und in der ganzen Nacht kein Bus. Bis morgens kurz vor neun, als ich gerade nackt im Waschraum stehe. Aber ich habe mich am Rand des Platzes aufgestellt, so daß der Bus ohne Probleme wenden kann.
Ich fahre weiter zur Straße 820 und halte mich hier westlich. Am Ende des Eidsfjords entdecke ich den perfekten Übernachtungsplatz: Eine Insel im Fjord, über einen schmalen Damm erreichbar, mit einem etwas erhöht liegenden Schotterplatz darauf. Leider bin ich zu früh, um schon wieder anzuhalten, aber ich merke mir den Platz. Erstmal geht es weiter auf der 820, bergauf, durch einen Tunnel und wieder bergab. Die Gegend ist bergig und bewaldet und man sieht ständig irgendwo Wasser, entweder einen Binnensee oder einen Fjord, was natürlich auch auf den ersten Blick kaum zu unterscheiden ist. Die Küstenlinie im Westen der Insel ist aber eher flach und vergleichsweise langweilig, was vielleicht auch durch das eher trübe Wetter verursacht wird. Doch auch hier gibt es Sehenswertes: Zunächst, direkt an der Küste vor Vinje, einige Gräber aus dem 4. bis 5. nachchristlichen Jahrhundert. Zu sehen sind längliche Gruben, mit Steinen ausgelegt und mit Steinkreisen umgeben. Einer Tafel ist zu entnehmen das diese Gräber mit reichen Beigaben ausgestattet waren.
Dann verweist ein Schild „Skulpturlandskap“ mal wieder auf ein Stück moderner Kunst in der Landschaft. Unter diesem Motto findet man im ganzen Bezirk Nordland immer wieder Werke zeitgenössischer Künstler, die dort vor einigen Jahren aufgestellt wurden. Hier ist es eine langbeinige Figur, die oben auf einem Berg steht, übers Meer schaut und ein Tablett mit einer Flasche darauf hält.
Ich fahre weiter bis Klaksjord. Hier enden alle Straßen und es gibt einen winzigen Campingplatz, in idyllischer Lage am Fjord. Man darf allerdings nicht längs parken und so hätte ich die Aussicht nur durch das ohnehin ständig verdreckte Klofenster. Ich drehe also wieder um und fahre auf einer anderen Schotterstraße, diesmal mehr durchs Binnenland, zurück zur 820. Als nächstes biege ich dann in Richtung Hovden ab. Dies ist wieder die lange vermißte, dramatische Straße direkt am Fjordufer.
Und sogar das Wetter wird besser. Zunächst erreiche ich Nykvagn und dann, auf der zum Teil in den Fels gesprengten Straße, Hovden. Das Auffälligste hier sind drei riesige, zeltförmige Trockenfischgestelle, von den zwei auch noch mit Fischen behängt sind, immer paarweise am Schwanz zusammengebunden.
Normalerweise endet die Trockenperiode Mitte Juni, weshalb ich bisher immer nur leere Gestelle gesehen habe. Diese riesigen, wohl 50-60m langen und 4-5m hohen Gestelle, behängt mit Tausenden von Fischen, bieten ein bizarres Bild.
Ob der Vogel wohl beim Fische klauen erwischt wurde?
Auf einer Tafel steht geschrieben, das Nykvagn und Hovden bereits einige hundert Jahre besiedelt sind. Hovden ist allerdings erst seit 1951 auf dem Landweg erreichbar.
Das nächste Auffällige ist eine moderne Windmühle zur Stromerzeugung, die erste, die ich in Norwegen bemerke, obwohl hier an Wind wirklich kein Mangel herrscht. Aber vielleicht an Baugrund oder der Akzeptanz der Bevölkerung ?
Auf der Fahrt hierher habe ich vor Nykvagn eine große freie Fläche auf einer Anhöhe bemerkt. Da ich keinen besseren, noch freien Platz finden kann, kehre ich dorthin zurück.
Ich packe mein Abendessen ein und schnüre die Wanderstiefel um einem Hinweis zum „Kjentmann“ zu folgen, der hier neben dem Auto steht. Das Schild zeigt in Richtung auf einen See, der etwas unterhalb liegt. Im rechten Winkel zu dieser Richtung sehe ich aber einen roten Markierungspunkt auf einem Stein und glaube auch, hier einen Weg zu entdecken. Aber da ist kein Weg und schon bald stolpere ich querfeldein über Flechten und Moose und kehre wieder um. In Richtung auf den See gibt es tatsächlich etwas, das man mit gutem Willen als einen Weg bezeichnen kann. Es ist auf jeden Fall ratsam, beim Betreten norwegischer Wanderwege feste Schuhe an den Füßen zu haben. Vor dem See weisen Schilder darauf hin, daß dies das Trinkwasserreservoir der Gemeinde Nykvagn ist und das es nicht verschmutzt werden darf. Beim Näherkommen bemerke ich jedoch Schaum auf dem Wasser direkt am Seeufer. Ob jetzt auch schon Tenside aus Mitteleuropa in Nordnorwegische Seen regnen ? Bisher war mir dies nur von jenen Schadstoffen bekannt, die auch bei uns für sauren Regen verantwortlich sind. Hier im Lande selbst wird die Umwelt natürlich nicht verschmutzt.
Wie auch immer, mit diesem appetitlichen Wasser müssen die Nykvagner selbst zurecht kommen, ich habe mein Wasser bisher hoffentlich aus saubereren Seen bezogen. Ich suche mir ein sonnenbeschienenes Plätzchen direkt am Wasser und esse mein Abendbrot.
Donnerstag, den 4. Juli (26. Tag)
Wieder einmal rüttelt der Sturm am Auto und ein leichter Regen verschmiert die Staubkruste noch etwas mehr.
Eben dieser Sturm hat auch das „Kjentmann“-Schild umgeworfen, was weitere Zweifel in mir am Sinn dieses Schildes nährt. Wenn es nun schon ein paar Mal umgeworfen wurde und immer wieder von Leuten aufgerichtet wurde, die auch nicht wissen, was oder wo „Kjentmann“ eigentlich ist ?
Ich fahre zurück zur 820 und mache als nächstes einen Abstecher nach Guvag, der aber keine neuen Erkenntnisse bringt. Immerhin kann man auf einer anderen Straße zur 820 zurückfahren. Als nächstes geht es links ab nach Sandset. Auch dies ein Ort, der seine große Zeit wohl schon hinter sich hat. Bald bin ich wieder an dem bereits gestern entdeckten perfekten Übernachtungsplatz. Die Erfahrung der letzten Tage hat mir gezeigt, dass solche Plätze oft schon ab 16 Uhr mit Wohnmobilen belegt sind. Oft auch mit einheimischen Wohnwagengespannen. Von den Norwegern können die Holländer noch was lernen in Punkto Wohnwagenfahren. Die Wagen stehen oft an den schönsten Plätzen und sind dort sicherlich meist Hüttenersatz. Denn die Hütte gehört einfach dazu. Statistisch gesehen hat jede zweite norwegische Familie eine Hütte. Hinzu kommt, dass die Häuser in den Dörfern oft weit auseinander liegen. Und so ist die Stellplatzsuche nicht so einfach, wie man glauben sollte. Beinahe jeder Weg der von der Straße abführt, geht entweder zu einem oder mehreren Häusern, meistens erkennbar an den Briefkästen am Anfang des Weges, auch wenn die Häuser selbst noch gar nicht zu sehen sind. Oder am Ende liegt versteckt eine Hütte, die man oft erst sieht, wenn man dicht davor steht.
Die Häuser und natürlich erst recht die Hütten, sind meist aus Holz gebaut. Und hat mal jemand ein Steinhaus, wird dies durch besonderes Hervorheben des Mauerwerks aller Welt kundgetan. Die Häuser in den Dörfern sehen recht proper aus, in fast allen Fenstern hängen geraffte Gardinen und es steht jede Menge Nippes auf dem Fensterbrett. Ein wichtiges Requisit für jede norwegische Behausung ist der Fahnenmast, an dem de norwegische Flagge, meist in Form eines großen Wimpels, im Wind flattert.
Dem stellplatzsuchenden Wohnmobilisten bleiben so meist Park- und Rastplätze oder Schotterplätze neben der Straße ohne direkt ausgeschilderte Funktion, will er nicht von einem Haus- oder Hüttenbewohner nachts aus dem Bett geholt werden, weil das Auto in der Einfahrt steht. Nun, und diese Plätze sind oft um 16 Uhr bereits von, meist deutschen, Mobilen belegt. Aber heute droht mir kein Ungemach, ich stehe schon um 15 Uhr auf einem für meine Begriffe idealen Stellplatz. Im Moment ist nur ein finnisches Paar mit BMW und kleinem Wohnwagen hier. Die beiden angeln ständig.
Die Sonne scheint auch wieder und so stelle ich den Liegestuhl raus und fange an zu lesen: Ein Buch über die Hurtigruten, das ich mir in Stokmarkenes gekauft habe und zwei Hefte über Norwegen. Eine Reise mit der Hurtigrute muß ich unbedingt machen, am besten vielleicht im Winter, entweder im November oder im Februar oder März, denn ich will auch ein Polarlicht sehen und das geht ja nicht, wenn dauernd die Sonne scheint, so wie jetzt. Im Prinzip tritt die „Aurora borealis“ hier an jedem zweiten Tag auf, aber zur Zeit wird alles von der ewig scheinenden Sonne überstrahlt.
Entgegen meinen Erwartungen kommt bis zum Abend kein weiterer Camper auf diesen Platz. Als gegen 22 Uhr die Sonne hinter dem nahen Berg verschwindet, packe auch ich alles zusamen, denn es wird rasch kühl. Meine finnischen Nachbarn sehe ich noch um Ein Uhr den Fischen nachstellen.
Nyksund, Stø und wieder Nyksund, diesmal zu Fuß
Freitag, den 5. Juli (27. Tag)
Ich fahre weiter auf der 820 Richtung Osten und biege zunächst nach Smines ab. Hier sind nicht mehr als zwei Häuser und eine Anlegestelle, aber man kann gegenüber auf der Insel Skogsöya die Kirche von Öksnes sehen…
…und Öksnes heißt auch das Gebiet der Gemeinde, auf dem ich mich seit gestern nachmittag wieder befinde. Aber auch nach Smines führt nur eine Stichstraße und so muß ich wieder zurück zur 820. Hier biege ich bald nach links auf die 821 ab in Richtung Myre. Dort findet sich eine Entsorgungsstation an der Statoil-Tankstelle und ich erledige das Übliche.
In Myre geht es dann nach Nyksund. Meinem Reiseführer zu Folge wurde das Fischerdorf 1975 von den Bewohnern verlassen und war seither dem Verfall preisgegeben. In den achtziger Jahren hat es dann ein Berliner Sozialpädagoge als idealen Ort zur Betreuung auffälliger Jugendlicher aus der Großstadt entdeckt. Nach anfänglichem Zögern spielten auch die Norweger mit und die Berliner Jugendlichen konnten kommen und anfangen, das Dorf wieder aufzubauen. Dieser Aufbau ist immer noch im Gange, aber eine Menge Häuser sind wieder bewohnt und hübsch hergerichtet. Mittlerweile sind auch einige der früheren Bewohner in ihr „weggeworfenes Dorf“ zurückgekehrt. Im dortigen Landhandel wird aber, zumindest von dem Mädel an der Kasse, heftig berlinert. Das Experiment scheint also, zumindest mit den flüchtigen Blicken des Touristen betrachtet, gelungen.
Die Straße nach Nyksund ist schmal, geschottert und teilweise direkt in die Klippen hineingesprengt. Dazu liegt der Ort malerisch auf einer Felseninsel, die über eine Mole mit dem Festland verbunden ist und so einen geschützten Hafen bietet.
Nach einem „Dorfbummel“ fahre ich zurück und dann in Richtung Stø. Zuerst durch flaches Gelände, das wohl auch bei Flut unter Wasser steht. Dann erreiche ich Langenes mit einer kleinen, weißen Holzkirche…
…ein paar Rorbuern auf einer Halbinsel und einem Gedenkstein für 51 auf See gebliebene Fischer. All dies liegt nur ein paar hundert Meter auseinander, aber auch hier sind Bergschuhe ein Muß. Außerdem kämpfe ich mich durch brusthohes, nasses Kraut zu der Halbinsel durch und hätte auch eine Regenfeste Hose ganz gut gebrauchen können. Die habe ich natürlich dabei, aber für ein paar hundert Meter Weg braucht man das doch nicht…
In Stø lockt dann das „Bilbo-Camp“ mit Stromanschluß und der Möglichkeit, einmal ausgiebig an diesem Text feilen zu können, ohne ständig den Akku im Auge haben zu müssen.
Für 130 NOK ist dieser Campingplatz nicht unbedingt der Hit. Die beste Aussicht habe ich wieder aus dem Klo und die Parzellen sind so eng angelegt, daß sich bei voller Belegung die Nachbarn beim Öffnen der Ausstellfenster absprechen müssen.
Aber es gibt von hier einen Wanderweg an der Küste entlang nach Nyksund. Wenn morgen das Wetter mitspielt, wer weiß…
Samstag, den 6. Juli (28. Tag)
Das Wetter spielt eigentlich nicht mit, es ist neblig und feucht, ich will aber trotzdem Wandern. Als alles eingepackt ist, breche ich auf, um zuerst jenen Weg zu gehen, der durchs Hinterland durch die Berge führt. Aber hier steige ich bald in die tiefhängenden Wolken hinein und kehre wieder um. Jetzt also den Weg an der Küste entlang. Es beginnt die übliche Kraxelei, bei der man den Blick nicht vom Boden heben darf, um Wegmarkierungen zu suchen, weil man sonst unweigerlich mit einem Fehltritt auf die Nase fällt. So komme ich natürlich auch ein paar mal vom rechten Weg ab, finde ihn aber immer wieder. Der Weg führt an einem schönen Strand vorbei, dem Skipsanden, an dem einst ein Schiff gestrandet ist.
Einzige Überlebende war ein kleines Mädchen, das sich an einem Bilderrahmen festgehalten hat. Der Rahmen hängt heute in der Kirche von Langenes (die war leider schon zu, als ich gestern dort war). Und, pikante Anmerkung aus dem Wanderprospekt am Rande: Von eben diesem Mädchen sollen eine Menge Leute aus der Gegend abstammen…
Hinter dem Skipsanden wird wieder eine Weile über Klippen gekraxelt, dann geht es auf einem schmalen Landrücken zwischen dem Meer und einem kleinen Binnensee entlang. An diesem See stehen alleine schon drei der bereits erwähnten Hütten, einen anderen Zugang als diesen Pfad kann ich nicht entdecken.
Hier werde ich auch von einem Mann mit Rucksack und Plastiktüte überholt, der in einer der Hütten verschwindet, aus deren Schornstein sich bald der Rauch kräuselt. Jetzt noch, unter den kritischen Blicken einer wandernden, norwegischen Großfamilie, auf Steinen durch ein breites Bachbett balanciert und ein recht angenehmer Teil des Weges hat ein Ende. Von jetzt an wird steil bergauf gekraxelt, ein 314m hoher Berg will umgangen werden. 314m klingt nach nicht sehr viel, aber wenn der Weg teilweise in der Direttissma nach oben führt, weiß man, warum man keucht, wenn es geschafft ist. Hier treffe ich auch auf den anderen Weg durch die Berge und verliere kurz danach mal wieder den rechten Weg, finde ihn aber wieder. Hier geht es jetzt, unter völligem Verzicht auf Serpentinen, ebenfalls direkt geradeaus nach unten. Jetzt noch ein holpriges Stück an einem kleinen See entlang, wieder garniert mit ein paar Hütten und ich stehe an der Straße nach Nyksund. Ich verspüre schon jetzt keine Lust, mir diesen Weg in einer oder vielleicht zwei Stunden nochmal anzutun und überlege, wie ich wohl wieder zurückkomme. Bus? Taxi? Per Anhalter?
In Nyksund frage ich beim Bestellen der Waffeln mit Marmelade, ob die Kellnerin mir wohl ein Taxi rufen könnte. Sie greift sofort zum Telefon, ich bedeute Ihr aber, noch zu warten, weil ich ja meine Waffeln noch nicht gegessen habe und mit mir auch noch nicht im Reinen bin.
Beim Waffelessen spricht mich eine junge Frau von dem Pärchen am Nebentisch an, sie hätte gehört, wie ich nach dem Taxi gefragt habe und die beiden wollten nach Myre zurück, ob ich mitfahren wolle? Ich sage zu und wir steigen in einen offensichtlich gemieteten Ford. Hier merke ich auch, warum die Kleinwagen auf diesen Straßen es alle so eilig haben: Man spürt von der schlechten Straße so gut wie nichts. Mit meinem LKW-Fahrwerk werde ich an jedem „Ferist“ (in die Straße eingelassenes Viehgatter) kräftig durchgerüttelt und das ganze Auto dröhnt, hier ist davon auch bei Tempo 50 kaum etwas zu merken.
In Myre zeigen mir die Beiden noch den Weg zum Taxiunternehmen und da kommt auch bald ein T4 angebraust, der mich für 271 Kronen nach Stø bringt (knappe 20 km).
Der innere Schweinehund ist mal wieder nicht besiegt, aber doch schwer angeschlagen. Ein Sieg über dieses Tier hätte mich aber auch bis mindestens zehn Uhr abends auf den Beinen gehalten.
Weiter nach Andøya
Sonntag, den 7. Juli (29. Tag)
Die Berge ringsum sind alle nur ein paar hundert Meter hoch, trotzdem ist jeder mit Wolken verhüllt und dazu regnet es mal wieder.
Ich fahre weiter, zuerst zur Insel Gislöy durch flaches, mitunter sicherlich überflutetes Land. Dann zurück nach Myre und dort über Alsvag parallel zur 821. Auch hier verbergen sich landschaftliche Schönheiten schamhaft hinter den Wolken. Da es nichts zu sehen gibt, fahre ich etwas flotter und bin bald in Sortland, wo ich auf einer Brücke zur Insel Hinnöya hinüber wechsle, wo ich sofort auf die Straße 82 in Richtung Norden abbiege. Hier lockt mich schon der erste Abzweig nach Kinn, auf der anderen Seite der Insel gelegen. Als der Teer schließlich aufhört, ist die Straße nur unwesentlich breiter als das Auto und führt kilometerweit am Meer entlang durch eine tundraartige, einsame Landschaft. Ich fahre schon längst keine 30 mehr, einmal wegen der Qualität der Straße, aber auch, weil ich hier jeden Moment erwarte, einen Elch zu sehen. Doch das größte Landsäugetier Europas läßt sich nicht blicken. Ich weiß allerdings nicht, wieviele Elche mich gesehen haben, während ich nichtsahnend an ihnen vorbeigefahren bin. Aber auch die Straße nach Kinn, immerhin ein Drei-Häuser-Dorf, ist einmal zu Ende und ich muß wenden. Auf dem Rückweg finde ich einen Platz neben der Straße mit Meerblick. Wettermäßig hat sich leider seit heute morgen nichts geändert.
Montag, den 8. Juli (30. Tag)
Nur ungern verlasse ich diesen besonders ruhigen Platz, aber ich will ja auch noch woanders hin. Also wieder zurück zur Straße 82 und weiter Richtung Norden. Außer einem südgehenden Hurtigruten-Schiff…
…sichte ich bis zur Brücke nach Andöya nichts Erwähnenswertes, obwohl die Wolkendecke immerhin schon etwas höher liegt und es nur selten einmal etwas nieselt. Auch diese Brücke sieht von weitem wieder wie ein riesiger Katzenbuckel aus. Auf Andöya angekommen, mache ich direkt unter der Brücke eine Mittagsrast, dann geht es auf der 82 weiter nach Andenes. Bei Ase wird auf Reste einer eisenzeitlichen Kasernenanlage hingewiesen. Ich folge dem Holzsteg und finde mich nach 50 Metern zwischen ein paar grasbewachsenen, flachen Hügeln, ein paar Löchern und jeder Menge Birken und niedrigen Sträuchern wieder . Aber was, außer grasbewachsenen Hügeln, soll auch bleiben von Häusern, die aus Gras und Erde und vielleicht ein paar Balken vor 3000 Jahren gebaut wurden ?
Als nächstes lockt mich die Kirche von Dverberg von der meist schnurgeraden Straße herunter. Dies ist ein achteckiger, weißer Holzbau, direkt am Meer gelegen und mit einem kleinen Tor davor, nur leider abgeschlossen.
Weiter geht es am Ostrand von Andöya entlang durch eine flache Landschaft. Nur um Andenes herum stehen ein paar kegelförmige Felsenberge. Der Westen der Insel ist dagegen gebirgiger. Allgemein scheint es viele Sümpfe zu geben und ich glaube, Verladeanlagen für Torf gesehen zu haben.
In Andenes, einem noch aktiven Fischerort, erkundige ich mich nach der nächsten Wal-Safari. Diese beginnt morgen um acht Uhr. Ich niste mich also für 120 NOK auf dem Campingplatz von Andenes ein, um es am nächsten Morgen nicht so weit zu haben. Auch hier strahlt wieder die Mitternachtssonne ins Auto, aber ich habe alles zugezogen und den Wecker gestellt, denn ich darf morgen nicht verschlafen.
(c) Henning Schünke