Jesus
Die folgende Episode habe ich auf einer Spanien-Rundreise im Jahr 1996 erlebt. Ich war alleine mit meinem VW-Campingbus unterwegs.
In der Gegend von Orense, nördlich der portugiesischen Grenze, sah ich von der Straße aus die markante Ruine eines Turmes. Mein Interesse war geweckt und ich bog von der Hauptstraße ab. Von der Nebenstraße musste ich auf einen kleinen Feldweg abbiegen und stand schließlich am Fuße der Turmruine, die sich auf einem kleinen Hügel befand.
Ich stellte das Auto ab, so gut es eben ging, ich wollte ja auch nicht lange bleiben (dachte ich).
Beim Aussteigen hörte ich einen Mann rufen „Bitttteschönnn ! Bitttteschönnn !“ und ein kleiner, bärtiger, freundlich grinsender Spanier stand vor mir. Er bedeutet mir, das Auto doch noch ein wenig weiter den Hohlweg hinaufzufahren, damit „Frrräulein“ mit Ihrem Auto hinter mir wenden konnte. Das tat ich dann auch. Anschließend gab der Mann wortreich seiner Freude darüber Ausdruck, dass ihn jemand aus „Germania“ besuchen käme und schon kam seine Frau mit einem Karton Wein und zwei Gläsern. Jetzt wurde mir klar, dass ich irgendwie mitten auf seinen Hof geraten sein musste und dann fiel mir auch das winzige, flache Häuschen neben dem Feldweg auf. Jesus DaCosta, so hieß der Besitzer des Häuschens, schien aber mein Eindringen keineswegs übel zu nehmen, ganz im Gegenteil. Er redete wie ein Buch, mit Händen und Füssen, auf mich ein. Wir einigten uns auf einen Sprachmix aus Spanisch, Französisch, Englisch und Italienisch und natürlich den zwei deutschen Worten „Bitttteschönnn“ und „Frrräulein“.
Jesus hatte 15 Jahre in einem Stahlwerk in der Schweiz gearbeitet und konnte daher auch Italienisch, dessen einfachste Grundbegriffe auch mir durch zahlreiche Italien-Reisen einigermaßen geläufig sind.
Er bat mich in den Hof. Von hier aus betrachte sah das Haus weniger unscheinbar aus. Neben dem Haus war eine offene Scheune, in der Jesus alles Mögliche reparierte, bevorzugt aber Traktoren. „Germania guttt!!, Espana nix guttt!!“ womit er erschöpfende Auskunft über die Qualität spanischer Erzeugnisse auf dem Gebiet der Landmaschinen gegeben hatte. Ich hatte den Eindruck, dass er seine Familie von Gelegenheitsarbeiten ernähren musste.
Nach einer Weile kamen Jesus‘ Töchter aus der Ganztagsschule nach Hause. Sie hatten beide schon Englisch in der Schule gehabt und so konnte die Unterhaltung mit Hilfe von Dolmetscherinnen zu neuen Ufern aufbrechen.
Er erzählte von seiner Zeit als Soldat in Spanisch-Sahara, noch unter Franco und davon, dass er mit der gerade neu gewählten, konservativen Regierung überhaupt nicht einverstanden wäre. Seine Frau holte einen Schlüsselanhänger in Form einer roten Rose, das Symbol der spanischen Sozialisten und Jesus drückte diesen an sein Herz. Und nun wollte er unbedingt wissen, welche politischen Ansichten ich denn habe. Dabei kamen ihm die reichlich vorhandenen Schrottautos auf seinem Grundstück zu Hilfe. „Socialista?“ Er klopfte zärtlich auf die Haube eines roten Autowracks. Oder Konservativer? Er trommelte wütend auf das Dach eines weißen Lieferwagens, so dass die darin lebenden Hühner erschreckt herumflatterten (Weiß scheint die Farbe der spanischen Konservativen zu sein). Schließlich zupfte er, in Ermangelung eines grünen Wracks, ein paar Grashalme aus, um zu fragen, ob ich ein Grüner wäre.
Ich klopfte geistesgegenwärtig ebenfalls auf das rote Wrack, worauf hin sich Jesus‘ Züge deutlich aufhellten und er mir zum x-ten Male ein Glas Rotwein einschenkte.
Während Senora Da Costa das Abendessen vorbereitete, nahmen sich die englischkundigen Töchter meiner an, um mir noch ein paar spanische Worte beizubringen. Zum Abendessen war ich selbstverständlich eingeladen. Es gab Hühnerfleisch mit einer Unmenge Kartoffeln. Gegessen wurde im Wohnzimmer. Grün und weiß gestrichene Wände mit bröckelndem Putz, ein Tisch, fünf Stühle und ein neuer, riesiger Farbfernseher in dem ein Fußballspiel lief. Das war die gesamte Einrichtung. Zumindest mein Stuhl war so altersschwach, dass ich mich kaum zu bewegen wagte, aus Angst damit zusammenzubrechen. Die großzügige Gastfreundschaft dieser armen, aber freundlichen Leute ließ mich aber annehmen, dass ich den besten der vorhandenen Stühle bekommen hatte.
Natürlich durfte ich nach dem Abendessen auch vor dem Haus im Auto übernachten. Ich hätte sowieso nicht mehr fahren können, denn mein Rotweinglas wurde ständig nachgeschenkt.
Am nächsten Morgen gelang es mir dann auch, den Turm zu besichtigen, wegen dem ich ursprünglich hier hergefahren war. Nach dem was ich von Jesus‘ Erklärungen verstanden habe, konnte dieser ebenso von den Normannen wie von der deutschen Legion Kondor im spanischen Bürgerkrieg zerstört worden sein. Ich verabschiedete mich von Jesus und seiner Frau, als er fluchend in seiner Scheune ein Gitter für einen Zaun zusammenschweißte.